Zielgerichtete Therapien beim mCRC
Das metastasierte Kolorektalkarzinom (mCRC) wird heute in mehrere Subgruppen mit unterschiedlichen onkogenen Treibern unterteilt. Zudem ist auch die Lokalisation des Primarius von unabhängiger prognostischer und prädiktiver Bedeutung. „Bei Patienten mit links lokalisiertem mCRC mit RAS-Wildtyp (WT) ist die Anti-EGFR-Therapie in der ersten Linie die zur Zeit wohl potenteste Therapie“, betonte Dr. Ralph Fritsch, Zürich. Neben Anti-EGFR-Antikörpern bei linksseitigen Tumoren mit RAS-WT wurden mittlerweile zielgerichtete Therapien für Tumoren mit seltenen Treibermutationen (1-3%), BRAF V600E- (5-10%) und KRAS-Mutation (40-55%) sowie für HER2-positive Kolonkarzinome (3-5%) entwickelt. Als seltene Treiber stellte Fritsch ALK-, NTRK-, RET- und ROS1-Fusionen vor, die in WT-Tumoren und gehäuft bei hoher Mikrosatelliten-Instabilität auftreten. Zum Nachweis dieser Anomalien ist eine stratifizierte Testung über die Standardtestung auf RAS-WT hinaus notwendig.
Beim mCRC mit RET-Fusionen haben sich RET-Inhibitoren wie Selpercatinib und Pralsetinib als effektiv erwiesen. ROS1-Fusionen sind laut Fritsch mit nur 0,1% beim mCRC sehr selten und treten im Gegensatz zu den anderen Fusionen ausschließlich in Tumoren mit Mikrosatelliten-Stabilität auf. Hier bietet sich eine Therapie mit ALK-Inhibitoren wie Crizotinib an. Beim BRAF-mutierten mCRC handelt es sich um einen aggressiven Tumor mit kurzem Gesamtüberleben (OS) von im Mittel nur rund einem Jahr. Die beim BRAF V600E-mutierten Melanom bewährte Kombination von BRAF- und MEK-Inhibition induziert beim mCRC mit BRAF V600E-Mutation leider kaum Remissionen. In der BEACON-Studie hat sich jedoch die Zweitlinientherapie mit Encorafenib/Cetuximab mit oder ohne Binimetinib bei diesem Subtyp mit einer deutlichen Verbesserung von OS und Ansprechrate im Vergleich zur Chemotherapie plus Cetuximab als erfolgreich erwiesen. Mittlerweile zugelassen ist die Doublette Encorafenib/Cetuximab, da diese bei geringerer Toxizität ebenso wirksam wie das Triplett war. Derzeit wird die Doublette allein bzw. in Kombination mit FOLFOX oder FOLFIRI in der Phase-3-Studie BREAKWATER als First-line-Therapie versus eine Standardchemotherapie (+/- VEGF-Antikörper) geprüft.
Die KRAS G12C-Mutation lässt sich beim mCRC in 3-4% der Fälle nachweisen. Positive Daten bei dieser Tumor-Subgruppe gibt es zu den KRAS-Inhibitoren Sotorasib und Adagrasib, mit denen als Monotherapie hohe Tumorkontrollraten von >80% erreicht werden. Noch effektiver war in der Studie CodeBreak101 das Regime mit Sotorasib/Panitumumab, das zu einer Ansprechrate von 30% und einer Tumorkontrollrate von 93% führte. Ähnlich positive Ergebnisse gibt es zur Kombination Adagrasib/Cetuximab, auf die in der Studie KRYSTAL-1 46% der Teilnehmer ansprachen; die Tumorkontrollrate betrug 100%. Fritsch wertete die Daten als vielversprechend und geht davon aus, dass diese Regime demnächst in die klinische Praxis kommen.
Sicheres Operieren nach neoadjuvanter Therapie
Brusterhaltende Operation und neoadjuvante Chemotherapie (NEC) gehören beim frühen Mammakarzinom zu den Standards. Erstere hat sich als ebenso sicher wie die Mastektomie erwiesen; mit der NEC werden vergleichbare Ergebnisse wie mit der adjuvanten Therapie erreicht. Beim brusterhaltenden Vorgehen wird heute in engen Grenzen operiert: „Keine Tumorzellen bis zur Tusche (no ink on tumor)“ ist als negativer Schnittrand für die R0-Resektion akzeptiert“, informierte Dr. Kerstin Wimmer, Wien. Allerdings ist zu klären, welcher Resektionsrand bei ausgeprägter Tumorschrumpfung und pathologischer Komplettremission (pCR) nach NEC sicher ist. „Kann in den neuen oder muss weiterhin in den alten Tumorgrenzen operiert werden?“, so Wimmer.
Ihre Arbeitsgruppe wertete daher retrospektiv die Daten von 406 Frauen mit invasivem Brustkrebs aus, die in zwei österreichischen Brustkrebszentren eine neoadjuvante Therapie erhalten hatten und anschließend brusterhaltend operiert worden waren. Verglichen wurde der Einfluss einer Resektion mit knappen (≤1 mm) oder weiten Schnitträndern (>1 mm) auf Lokalrezidiv- und Überlebensraten. Nach einem Follow-up von 84 Monaten ließ sich kein signifikanter Unterschied in Abhängigkeit vom Schnittrand feststellen: Bei einem Resektionsrand ≤1 mm betrug das lokalrezidivfreie Überleben nach fünf Jahren 94%, bei weiterem Schnittrand 91% und im Falle einer pCR 95% (p=0,94). Gleiches gilt für die 5-Jahresraten des krankheitsfreien Überlebens (DFS) mit 72% bzw. 74% bzw. 87% (p=0,245) und des OS mit 85% bzw. 88% bzw. 96% (p=0,236). „Das Operieren in den neuen Tumorrändern nach NAC ist also sicher. Bei Erreichen einer pCR ist das Outcome zwar tendenziell besser; unsere Studie war jedoch für diese Frage nicht gepowert“, resümierte Wimmer.
SCLC: ZNS-Befall beeinflusst Benefit der Immuntherapie
Das kleinzellige Lungenkarzinom (SCLC) ist ein aggressiver Tumor mit früher Metastasierung. Bei rund 10% der Patienten liegen bereits bei Erstdiagnose ZNS-Metastasen vor; weitere 40-50% entwickeln im weiteren Verlauf Hirnmetastasen. Dr. Friederike Althoff, Frankfurt, und Mitarbeiter untersuchten im Rahmen einer retrospektiven multizentrischen Kohortenstudie, wie die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren (CPI), Chemotherapie und Schädelbestrahlung progressionsfreies Überleben (PFS) und OS beim rezidivierten SCLC beeinflussen. Die untersuchte Kohorte umfasste 286 Patienten, von denen 65% (n=187) zytostatisch, 35% (n=99) mit CPI behandelt worden waren. Gut 40% der Teilnehmer hatten ZNS-Metastasen, von denen ein Drittel bestrahlt worden war.
Die schlechte Prognose des SCLC verdeutlicht die Tatsache, dass 83% der zytostatisch und 75% der mit CPI behandelten Patienten nach einem Jahr bereits verstorben waren (HR 0,64). Die 1-Jahresrate des PFS war in beiden Gruppen vergleichbar (HR 0,95). Allerdings hing die Effektivität der Checkpoint-Blockade stark davon ab, ob Patienten einen ZNS-Befall und zuvor eine Schädelbestrahlung erhalten hatten: Bei Patienten ohne Hirnmetastasierung und ohne Schädelbestrahlung reduzierte die CPI-Therapie das Sterberisiko im Vergleich zur Chemotherapie um die Hälfte, bei denen ohne ZNS-Befall und mit Schädelbestrahlung sogar um zwei Drittel (HR 0,50; p=0,05 bzw. HR 0,34; p=0,003). Bei bestrahlten Patienten mit ZNS-Befall war die Checkpoint-Blockade nur tendenziell effektiver als die Chemotherapie (HR 0,85; p=0,59), bei nicht bestrahlten Patienten mit ZNS-Metastasierung der Zytostase hingegen eindeutig unterlegen (HR 2,85; p=0,02). „Somit wird der OS-Benefit der CPI-Therapie signifikant durch das Vorliegen einer ZNS-Metastasierung und die Durchführung einer Schädelbestrahlung beeinflusst: Der Vorteil ist größer bei Patienten ohne ZNS-Befall – mit oder ohne Radiatio -, während Patienten mit ZNS-Metastasen ohne Schädelbestrahlung unter der CPI-Therapie schlechter abschneiden“, so die Schlussfolgerung der Autoren.
Decitabin auch bei fitten älteren AML-Patienten
In einer europäischen Intergroup-Studie hat sich die epigenetische Erstlinientherapie mit Decitabin bei fitten älteren Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) als ebenso effektiv, aber weniger toxisch als die intensive Chemotherapie erwiesen. Die Phase-III-Studie AML21 schloss 606 median 68-jährige AML-Patienten in gutem Allgemeinzustand ein, die randomisiert Decitabin über 10 Tage als „Bridging“ zur allogenen Stammzelltransplantation (ASZT) oder die Standard-Chemotherapie nach dem „3+7“-Protokoll erhielten. Daran schloss sich in beiden Armen, sofern möglich, die ASZT an. Bei nicht transplantierbaren Patienten im experimentellen Arm wurde die Therapie mit Decitabin als Erhaltung fortgesetzt.
Nach einem Follow-up von median 4 Jahren waren beide Strategien beim primären Endpunkt vergleichbar effektiv: Die 4-Jahresraten des OS unterschieden sich mit 30% bei Chemotherapie und 26% unter Decitabin nicht signifikant (HR 1,04; p=0,68). Patienten im Standardarm überlebten median 18 Monate, die mit Decitabin behandelten 15 Monate. „Zudem wurden unter Decitabin weniger Toxizitäten, insbesondere Hämatotoxizität, Infektionen und gastrointestinale Nebenwirkungen, beobachtet“, betonte Prof. Michael Lübbert, Freiburg. Auch waren Klinikaufenthalte unter Decitabin um im Schnitt 20% kürzer. In beiden Armen wurden rund 40% der Patienten transplantiert. Das OS nach ASZT war mit einer 4-Jahresrate von 45% unter Decitabin und 47% im Standardarm nahezu identisch. Gleiches gilt für die 4-Jahresrate progredienter Patienten mit 22% bzw. 24% und die therapiebedingte Mortalität nach 4 Jahren (33% vs. 31%). „Damit ist die 10-tägige Decitabin-Therapie bei fitten älteren AML-Patienten eine gleich effektive, aber verträglichere Alternative zur aggressiven Chemotherapie“, resümierte Lübbert.
Dr. Katharina Arnheim
Quelle: DÖSGHO-Jahrestagung in Wien, 7. – 10. Oktober 2022