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Krebszelle
Aktuell vom ESMO-Kongress 2022
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Aktuell vom ESMO 2022

Erfolgreiche Therapien bei häufigen und seltenen Tumoren – in drei Presidential Sessions und insgesamt mehr als 1.900 Abstracts wurden beim diesjährigen Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO) innovative Therapiekonzepte präsentiert, die das Potenzial haben, das therapeutische Vorgehen bei mehreren Tumoren zu verändern. Eine Auswahl

NSCLC: Erste Phase-III-Studie mit KRAS-Inhibitor

Mit dem KRAS G12C-Inhibitor Sotorasib hat ein neues Wirkprinzip Eingang in die Therapie des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) gefunden. Geprüft wurde der irreversible Inhibitor in der Phase-III-Studie CodeBreak 200 an 345 vorbehandelten Patienten mit lokal fortgeschrittenem inoperablem oder metastasiertem KRAS G12C-mutiertem NSCLC versus Docetaxel als früher bevorzugtem Zweitlinienstandard, berichtete Prof. Melissa Johnson, Nashville. Mit einer signifikanten Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) erreichte die Studie den primären Endpunkt: Das mediane PFS wurde von 4,5 Monaten unter Docetaxel auf 5,6 Monate mit Sotorasib verbessert (HR 0,66; p=0,002). Die 1-Jahresrate des PFS war im experimentellen Arm mit 24,8% mehr als doppelt so hoch wie im Kontrollarm (10,1%). Der Benefit von Sotorasib erstreckte sich über alle Subgruppen. Patienten mit anamnestisch bekanntem ZNS-Befall, bei denen Sotorasib das Progressionsrisiko um relativ 47% senkte, profitierten besonders stark.

Die Responserate wurde gegenüber dem Taxan verdoppelt (28,1% vs. 13,2%). Zudem sprachen Patienten auf Sotorasib rascher und länger an als auf Docetaxel (1,4 vs. 2,8 Monate bzw. 8,6 vs. 6,8 Monate). Beim OS gab es mit zehn bis elf Monaten keinen Unterschied zwischen beiden Armen. Johnson wies darauf hin, dass die Studie keine ausreichende statistische Power für das OS besaß, da die Zahl der Teilnehmer aufgrund eines Protokoll-Amendments von 650 auf etwa 330 reduziert worden war. Zudem war bei 34% der Kontrollpatienten nach Progress ein Crossover zu Sotorasib erfolgt.

Der KRAS-Inhibitor wurde gut vertragen; die Rate therapiebedingter Nebenwirkungen vom Grad ≥3 war geringer als mit dem Taxan. Auch die Lebensqualität wurde günstig beeinflusst: So wurden eine Verschlechterung von globalem Gesundheitszustand und körperlicher Funktion sowie das Auftreten tumorbedingter Symptome durch Sotorasib verzögert. „Die Daten sprechen für Sotorasib als wichtiger Therapieoption beim NSCLC und untermauern die Bedeutung der genetischen Testung auf die KRAS G12C-Mutation“, resümierte Johnson. 

Sacituzumab Govitecan jetzt auch beim HR-positiven Brustkrebs

Mit einem Anteil von rund 70% ist der Hormonrezeptor- (HR) positive, HER2-negative Brustkrebs der häufigste Subtyp bei dieser Tumorentität. In der metastasierten Situation steht hier mit der endokrinen Therapie plus CDK4/6-Inhibitor eine effektive Erstlinientherapie zur Verfügung. Problematisch wird es jedoch nach Entwicklung einer endokrinen Resistenz: „Sequenzielle Monochemotherapien verlieren in späten Linien an Effektivität, die Toxizität aber steigt und die Lebensqualität sinkt“, erinnerte Prof. Hope Rugo, San Francisco. In der Phase-III-Studie TROPiCS-02 wurde in dieser Situation das Antikörper-Drug Konjugat (ADC) Sacituzumab Govitecan (SG) geprüft: Die globale Studie schloss 543 intensiv vorbehandelte Patientinnen mit metastasiertem oder inoperablem HR-positivem Brustkrebs ein, die zuvor bereits eine endokrine Therapie, einen CDK4/6-Inhibitor und median 3 Chemotherapien erhalten hatten und zu SG oder einer Therapie nach Wahl des Prüfarztes (Capecitabin, Vinorelbin, Gemcitabin oder Eribulin) randomisiert wurden.

Bei der ersten Auswertung hatte sich das ADC der Chemotherapie im Standardarm bereits mit einer Verbesserung des PFS (primärer Endpunkt) auf 5,5 Monate als überlegen erwiesen (vs. 4,0 Monate; HR 0,66; p<0,001). Gemäß der jetzt von Rugo vorgestellten zweiten Interimsanalyse nach einem medianen Follow-up von 12,5 Monaten überzeugte das ADC auch durch eine signifikante Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS): Kontrollpatientinnen überlebten median 11,2 Monate, die mit SG behandelten Frauen dagegen 14,4 Monate – entsprechend einer Reduktion des Sterberisikos um relativ 21% (HR 0,79; p=0,020). Die 12-Monatsrate des OS stieg von 47% im Kontrollarm auf 61% unter SG. Der OS-Vorteil erstreckte sich konsistent über praktisch alle Subgruppen. Auch Frauen mit viszeralen Metastasen sowie drei und mehr Chemotherapie-Linien profitierten von dem ADC. Bei der gesundheitsbezogenen Lebensqualität schnitt das ADC mit einer verzögerten Fatigue-Entwicklung und einer längeren Zeit bis zur Verschlechterung des globalen Gesundheitsstatus ebenfalls günstig ab. „Die Daten sprechen für den Einsatz von SG bei vorbehandelten Patientinnen mit HR-positivem, HER2-negativem metastasiertem Brustkrebs“, erklärte Rugo abschließend. Auch Diskutantin Dr. Meritxell Bellet, Barcelona, wertete die Ergebnisse als klinisch relevant in diesem Kollektiv mit hohem therapeutischen Bedarf, forderte jedoch translationale Untersuchungen zu Biomarkern wie der Trop-2- und der HER2-Expression beim HER2-low-Brustkrebs. 

Erstmals Triplett beim RCC geprüft

In der Phase-III-Studie COSMIC-313 hat sich das Triplett mit Nivolumab/Ipilimumab (Nivo/Ipi) plus Cabozantinib beim nicht vorbehandelten Nierenzellkarzinom (RCC) mit intermediärem oder ungünstigem Risiko aufgrund der signifikanten PFS-Verlängerung bewährt. Die Studie umfasste 855 Patienten, die randomisiert einer Erstlinientherapie mit dem Triplett oder mit Nivo/Ipi plus Placebo und einer Erhaltungstherapie mit Nivo plus Cabozantinib oder plus Placebo zugeteilt worden waren. Damit handelt es sich um die erste Phase-III-Studie, in der eine immunonkologische Zweierkombi als Kontrollarm verwendet wird, betonte Prof. Toni Choueiri, Boston.

Patienten im Placeboarm lebten median 11,3 Monate ohne Progress. Dagegen war der PFS-Median im Verumarm bei Auswertung noch nicht erreicht, sodass die Addition von Cabozantinib in einer Reduktion des Progressionsrisikos um relativ 27% resultiert (HR 0,73; p=0,013). Choueiri wies darauf hin, dass sich die Ereigniskurven beider Arme bereits früh, nach rund zwei Monaten, trennten und im weiteren Verlauf ein Plateau erreichten. Die 1-Jahresrate des PFS liegt im Placeboarm bei 49%, unter dem Triplett bei 57%. Eine Tumorschrumpfung wurde bei 90% der mit dem Triplett, aber bei nur 75% der mit Nivo/Ipi behandelten Patienten dokumentiert. Auch Diskutant Prof. Sumanta Kumar Pal, Los Angeles, wertete die Effektivitätsdaten von COSMIC-313 als „interessantes Signal“. Er wies jedoch auf die Toxizität des Tripletts mit Erhöhung der Leber-Transaminasen und vermehrten Diarrhöen sowie Hauttoxizitäten hin und forderte daher, risikoadaptierte Ansätze zur optimalen Anwendung von Triplett-Therapien sowie die Entwicklung von Dreierkombinationen mit nicht überlappender Toxizität zu prüfen.    

Effektive Systemtherapie bei Desmoidtumoren

Der Gamma-Secretase-Inhibitor (GSI) Nirogacestat könnte künftig das Management der seltenen, aber lokal aggressiven und invasiven Desmoidtumoren revolutionieren. Diese Weichteiltumoren sind bislang wegen ihres unterschiedlichen klinisches Bildes, des unvorhersehbaren Verlaufs und fehlender zugelassener Therapien eine Herausforderung, erklärte Prof. Dr. Bernd Kasper, Mannheim. Der neue Wirkansatz beruht darauf, dass Desmoidtumoren Notch überexprimieren, das durch den GSI gehemmt wird.

In der Phase-III-Studie DeFi wurde Nirogacestat bei 147 Patienten mit progredienten Desmoidtumoren mit Placebo verglichen. Durch die aktive Therapie konnte das Risiko für Progress oder Tod gegenüber Placebo signifikant um 71% reduziert werden: Das PFS im Placeboarm betrug 15,1 Monate; im Verumarm ist der PFS-Median dagegen noch nicht erreicht (HR 0,29; p<0,01). Auf Nirogacestat sprachen 41% der Teilnehmer an, davon 7% mit einer kompletten Remission (vs. 8% bzw. 0%). Gleichzeitig wurde der GSI gut vertragen; 95% der Nebenwirkungen waren nur leicht bis mäßig ausgeprägt (Grad 1–2). Auch wichtige Parameter der Lebensqualität wie Schmerzen, tumorspezifische Symptomintensität sowie körperliche und Rollenfunktion wurden verbessert. „Damit hat Nirogacestat das Potenzial, der Standard für Patienten mit Desmoidtumoren zu werden, die einer systemischen Therapie bedürfen“, so Kasper abschließend. 

Dr. Katharina Arnheim

Quelle: ESMO Congress 2022, Paris, 9. bis 13. September 2022