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Medizin

Prof. Dr. Gunhild von Amsberg
Prof. Dr. Gunhild von Amsberg, Brückenprofessur für Uroonkologie, Martini Klinik Hamburg, Universitäres -Cancer Center Hamburg

Immuntherapie beim Prostatakarzinom: „Wir müssen den richtigen Zugang zu dem Tumor finden“

Warum das Prostatakarzinom bislang nur mit mäßigem Erfolg auf Immuntherapeutika anspricht, mit welchen Strategien sich der Tumor dennoch angreifbar machen lässt und weshalb BiTEs und CAR-T-Zellen eine interessante Option gerade für jüngere Patienten darstellen könnten – Interview mit Prof. Gunhild von Amsberg, Hamburg

Bei soliden Tumoren wie etwa Nieren- und Blasenkarzinom hat sich die Immuntherapie bereits etabliert. Das Prostatakarzinom dagegen spricht bislang nicht in dem Maße auf diese Therapieoptionen an. Wo liegen die Gründe?

Amsberg: Das Prostatakarzinom wird zu den sogenannten kalten Tumoren gerechnet. Im Gegensatz zu anderen „heißen“ Tumoren mit hoher Immunogenität haben wir einerseits eine relativ geringe Infiltration durch Immunzellen, vor allem zytotoxische T-Zellen, andererseits weisen Prostatakarzinome eine relativ niedrige Mutationslast auf. Letztere resultiert in der Ausbildung nur weniger Neoantigene auf der Oberfläche der Prostatakrebszellen. Deshalb wird der Tumor vom Immunsystem nur sehr schlecht als fremd erkannt und kann damit im Gegensatz zu anderen malignen Erkrankungen wie Nieren- und Blasenkarzinom sowie malignem Melanom und Lungenkrebs keine adäquate Immunantwort des Körpers provozieren. Eine duale Funktion kommt in diesem Geschehen den Zytokinen zu, die sowohl bei der Abwehr von Tumorzellen als auch bei der Hemmung des Immunsystems eine Rolle spielen. Letztere scheint insbesondere bei Knochenmetastasen zu einem ungünstigen Tumormikromilieu beizutragen. Mit dem alleinigen Einsatz von Checkpointinhibitoren lässt sich deshalb häufig nicht das gewünschte Ergebnis erzielen.

Ist es möglich, dieses kalte Mikroenvironment beispielsweise mit einer Chemotherapie in ein heißes Milieu umzuwandeln – wie es bei anderen Tumoren ja zum Teil gemacht wird?

Das ist Gegenstand aktueller klinischer und präklinischer Untersuchungen. Man evaluiert hier unterschiedliche Optionen. Ein Behandlungs-ansatz, der in ersten vorläufigen Untersuchungen schon relativ erfolgreich war, ist die Kombination von Checkpoint-Inhibitoren mit Androgenrezeptor-Signalweg-Inhibitoren, zum Beispiel mit Enzalutamid. So konnte die Kombination aus Pembrolizumab und Enzalutamid in einer Phase-II-Studie bereits beachtliche Erfolge erzielen. Enzalutamid führt dabei nicht nur zu einer vermehrten Neoantigen-Freisetzung, sondern kann mutmaßlich auch das Tumormikromilieu günstig beeinflussen, indem es zu einer Aktivierung von zytotoxischen T-Zellen und gleichzeitig zu einer Hemmung der immunsupprimierenden, regulatorischen T-Zellen beiträgt. Die Kombination aus Pembrolizumab und Enzalutamid wird sowohl in der hormonsensitiven als auch in der kastrationsresistenten Situation aktuell in klinischen Phase-III-Studien untersucht.
Ein zweiter Ansatz, der jetzt im Rahmen einer großen klinischen Phase-III-Studie getestet wird, ist die Kombination des Checkpointinhibitors Nivolumab mit dem Chemotherapeutikum Docetaxel. Auch hier konnte in einer Phase-II-Studie bereits ein erfreuliches Ergebnis erzielt werden, mit einer Response-Rate von etwa 40 Prozent und einem PSA-Ansprechen von knapp 50 Prozent. Durch die unterschiedlichen Kombinationstherapien soll letztlich eine bessere Ausgangssituation geschaffen werden. Wie das sehr ungünstige Mikroenvironment des Prostatakarzinoms am besten positiv beeinflusst werden kann, werden die großen randomisierten Studien zeigen.

Die Studie CheckMate 650 hat bereits positive Ergebnisse zur Kombination der beiden Antikörper Ipilimumab und Nivolumab ergeben. Besteht hier Anlass zu Hoffnung?

Ipilimumab nimmt eine Vorreiterrolle in der Immuntherapie des Prostatakarzinoms ein. Der CTLA4-Inhibitor wurde als erster Checkpoint-inhibitor in zwei Phase-III-Studien getestet. Leider wurde in beiden Studien der primäre Endpunkt – die Verlängerung des Gesamtüberlebens – nicht erreicht. Allerdings zeigte eine Langzeitanalyse zum Einsatz von Ipilimumab nach Strahlentherapie bei Docetaxel-vorbehandelten Patienten verbesserte Überlebensraten nach 3 Jahren und darüber hinaus, ein durchaus ermutigendes Ergebnis. Eine interessante Beobachtung war zudem, dass Ipilimumab im neoadjuvanten Setting  zu einer Erhöhung der PD-L1-Expression führt. Dies wurde als gegenregulatorischer, Resistenz-vermittelnder Mechanismus gewertet. Unter diesem Gesichtspunkt erschien es sinnvoll, Ipilimumab mit dem PD-L1-Inhibitor Nivolumab zu kombinieren. Diese Immunkombination wird in der Phase-II-Studie CheckMate650 untersucht, und zwar in zwei Kohorten: vor und nach Docetaxel-Behandlung. Patienten ohne vorherige Chemotherapie erzielten Overall-Responseraten von 25 Prozent,  Patienten mit vorausgegangener Docetaxelbehandlung von 10 Prozent. Die Gesamtüberlebenszeit lag bei ca. 19 und 15 Monaten.

Lässt sich vorhersehen, welche Patienten besonders profitieren könnten?

Analysen, die bereits im Vorfeld der Studie geplant waren, identifizierten Subgruppen, die besonders von der Kombination profitierten. Erwartungsgemäß waren dies Patienten mit einer hohen Tumormutationslast, mit Defekten in der DNA-Reparatur sowie auch Patienten mit einer hohen PD-L1-Expression.

Das heißt, dass die CTLA4-Inhibition zu einer vermehrten Expression von PD-L1 führt und dass es deshalb sinnvoll erscheint, diese beiden Wirkstoffe zu kombinieren?

Genau. Es handelt sich um einen möglichen „Resistenz-Mechanimus“, der der Positiv-Wirkung der Inhibition des ersten Checkpoints entgegenwirkt. Wenn der zweite Checkpoint durch die vermehrte PD-L1-Expression überaktiviert wird, scheint es logisch, diesen Checkpoint zusätzlich zu blockieren und damit den Tumor sozusagen über zwei Flanken anzugreifen.

Halten Sie die Biomarker-Testung auf PD-L1 oder auch BRCA1/2 im fortgeschrittenen -Stadium deshalb für empfehlenswert?

Bei rein immuntherapeutischen Ansätzen ohne Kombination mit anderen Substanzen scheint dies sinnvoll zu sein. Dies muss allerdings noch in größeren Studien bestätigt werden. Denn das ist die Krux der kleinen Phase-II-Studien: Wir ziehen Rückschlüsse aus relativ kleinen Patientenzahlen. Diese Beobachtungen und Ergebnisse können allerdings in den großen Phase-III-Studien nicht immer bestätigt werden. Die Ergebnisse der großen, randomisierten Studien werden hier Klarheit schaffen.

Bispezifische T-Zell-Engager kommen bereits bei verschiedenen Tumoren zum Einsatz. Wie ist der aktuelle Stand beim Prostatakarzinom?

Verschiedene frühe klinische Studien testen aktuell BITEs beim Prostatakarzinom. Dabei richten sich die BiTEs gegen unterschiedliche Zielstrukturen, wie beispielsweise das PSMA, das vielen von der PSMA-Radioliganden-Therapie geläufig sein dürfte. Auch hier muss abgewartet werden, ob die vielversprechenden ersten Ergebnisse in größeren Studien bestätigt werden können. Aber die Ergebnisse der ersten Readouts sind durchaus vielversprechend. Eine weitere mögliche Zielstruktur ist das Prostate Stem Cell Antigen (PSCA).

Dasselbe gilt vermutlich auch für die CAR-T-Zelltherapie?

Genau. Deshalb freuen wir uns natürlich, dass wir auch in Deutschland Phase-I-Studien sowohl zu BITEs als auch zu CAR-T-Zelltherapien beim Prostatakarzinom haben. Entscheidend ist, dass wir hier als wichtiges europäisches Land nicht den wissenschaftlichen Anschluss verlieren. Erfreulicherweise haben dies deutsche Unternehmen erkannt und entsprechende Ansätze entwickelt. Deshalb sind wir hier am Puls der Zeit. Ich persönlich halte es für sehr wichtig, dass wir, gerade was neue Therapie-ansätze betrifft, in Deutschland wissenschaftlich die Nase vorne haben.

Die Toxizität bei CAR-T-Zellen ist ja nicht ganz unproblematisch. Spricht die Verträglichkeit gegen eine Therapie oder ist das Problem handhabbar?

Ich denke, Toxizität ist immer eine Abwägungssache. Man muss sehen, wie effektiv diese Behandlungen bei unseren Prostatakarzinom-Patienten wirken werden. Sicher wäre eine so intensive Behandlung keine Option, wenn wir dadurch nur wenig Lebenszeit gewinnen könnten. Deshalb glaube ich eher nicht, dass BITEs und CAR-T-Zellen eine Standardtherapie für alle Prostatakarzinom-Patienten werden, sondern eher für ausgewählte Patienten in Frage kommen. Patienten müssen körperlich in der Lage sein, mit Toxizitäten wie beispielsweise einem Zytokinfreisetzungssyndrom zurecht zu kommen. Man darf nicht vergessen, dass wir bereits viele gut verträgliche Behandlungsansätze zur Therapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms haben. Patientenselektion hat daher eine wichtige Priorität.

An welche Patientengruppe denken Sie dabei?

Die Therapien kommen meines Erachtens vor allem für jüngere Männer infrage. Wir haben – und das wird immer wieder verkannt – auch eine gar nicht so kleine Gruppe jüngerer Patienten. Diese Männer weisen häufig eine erbliche Komponente oder/und ungünstige molekularpathologische Konstellationen auf. Sie sind häufiger mit einem aggressiven Verlauf konfrontiert. Es besteht somit ein „hoher Medical Need“. Es ist wichtig, diesen jungen Menschen neue Behandlungsoptionen in Aussicht stellen zu können.

Welchen Strategien geben Sie die größten Chancen? Wo sehen Sie Potenzial für die Zukunft?

Das ist momentan sicherlich eine der schwierigsten Fragen – insbesondere so lange die Ergebnisse größerer Studien noch nicht vorliegen. Festzuhalten ist, wir sollten uns beim Prostatakarzinom in Bezug auf die Immuntherapie noch nicht geschlagen geben. Ich glaube, wir müssen den richtigen Zugang zu diesem Tumor finden, um ihn immuntherapeutisch angreifbar zu machen. Dies gestaltet sich nicht so einfach wie bei anderen Tumoren. Ob dies am Schluss mit BITEs oder CAR-T-Zellen gelingt oder aber über andere Ansätze, bleibt abzuwarten. Patientenselektion und personalisierte Behandlungsansätze werden vermutlich eine zentrale Rolle spielen, um die Immuntherapie auch beim Prostatakarzinom zu integrieren.

Interview: Cornelia Weber