Bei jedem vierten Pankreaskarzinom-Patienten liegt eine genetische Alteration vor, die sich potenziell zielgerichtet andressieren lassen könnte. Herr Prof. Böck, welche davon sind relevant für die Therapie?
Böck: Für den Alltag sicher am wichtigsten ist die HR-DDR, also der Homologe Repair DNA Damage Response Pathway. Dazu gehören neben BRCA-1/-2 auch Gene wie ATM und PALB2. Bei BRCA muss man unterscheiden zwischen Keimbahnmutation und somatischer Mutation. Für die Keimbahnmutation gibt es eine Zulassung für den PARP-Inhibitor Olaparib. Zudem wissen wir, dass Patienten mit BRCA-Keimbahnmutation sehr gut auf Platin ansprechen. Die aktuelle Leitlinie empfiehlt bei einem entsprechenden Nachweis deshalb zuerst die Platin-basierte Chemotherapie und anschließend den PARP-Inhibitor als Erhaltungstherapie.
Die Mismatch Repair Defizienz als zweites potenzielles Target findet sich beim Pankreaskar-zinom nur im niedrigen einstelligen Prozent-bereich und ist damit viel seltener als zum Beispiel beim Kolonkarzinom im Stadium II/III. In den USA gibt es schon länger die tumoragnostische Zulassung für Pembrolizumab für Mismatch Repair-defiziente oder Mikrosatelliten-instabile Tumoren. Die EMA dagegen hat das Mismatch Repair-defiziente oder Mikrosatelliten-instabile Pankreaskarzinom von der Pembrolizumab-Zulassung bewusst ausgenommen.
Welche Gründe haben die EMA dazu bewogen?
Es gibt nur Daten von relativ wenigen Patienten, die Daten sind zum Teil auch ein wenig inkonklusiv. So war in dem initialen Science Paper zu MSI-Tumoren mit sehr wenig Pankreaskarzinom-Fällen die Ansprechrate noch deutlich höher, als es in einer Kohorte mir zweistelliger Patientenzahl der Fall war. Vielleicht hat das den Ausschlag gegeben, das Pankreaskarzinom von der Zulassung auszunehmen.
Wie erfolgreich sind diese zielgerichteten Therapien beim Pankreaskarzinom?
Bei Patienten mit Mikrosatelliten-instabilem Pankreaskarzinom können wir mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass ein Checkpoint-Inhibitor wirkt. Das Problem ist, dass die Mutation mit ein bis zwei Prozent sehr selten ist. Man muss also 100 Patienten testen, um einen Patienten zu finden, der von dieser Therapie profitieren könnte. Und wir bewegen uns im Off-label-Bereich. Bei der HR-DDR-Defizienz dagegen haben wir jetzt eine zugelassene Substanz, die sicher einen Fortschritt darstellt. Je nachdem, welche Kohorte man betrachtet, weisen bis zu zehn Prozent oder mehr Patienten diese Veränderung auf. Das ist also schon deutlich relevanter als nur die Mismatch Repair-Defizienz. Diese Alteration untersuchen wir deshalb bei allen Patienten.
Welche Rolle spielt hier die Diagnostik mittels Next Generation Sequencing?
Das ist noch relativ umstritten und wird in den Zentren unterschiedlich gehandhabt. Es gibt Zentren, die zuerst eine KRAS-Analytik durchführen und nur bei KRAS-Wildtyp-Tumoren dann eine NGS-Diagnostik ergänzen. Das ist sicher etwas, wofür es eine gewisse wissenschaftliche Rationale gibt, weil wir wissen, dass die KRAS-Wildtyp-Tumoren häufiger Alterationen sowie eine Mikrosatelliten-Instabilität aufweisen. Aber auch die KRAS-Wildtyp-Population macht nur rund zehn Prozent der Patienten aus.
In welcher Linie setzen Sie die zielgerichteten Substanzen ein?
Das ist, glaube ich, klar: Primär müssen die etablierten bzw. zugelassenen Chemotherapie-Protokolle wie FOLFIRINOX oder Gemcitabin/nab-Paclitaxel durchlaufen worden sein, bevor man über Off-label-experimentelle Therapien nachdenken kann.
Das bedeutet, dass die Patienten erst mal die Chemotherapie-Zyklen durchstehen müssen. Führt das nicht auch zu einer biologischen Selektion?
Absolut. Leider bewegen wir uns beim Pankreas-karzinom, was den Überlebenszeit-Gewinn angeht, immer noch im Monatsbereich – auch durch die neuen Chemotherapien und die zielgerichteten Substanzen. Die POLO-Studie mit Olaparib als Erhaltungstherapie gegen Placebo hat ja keinen Überlebensvorteil gezeigt, nur einen Vorteil im progressionsfreien Überleben. Allerdings ging es bei dieser Studie darum, ein Proof of Concept zu erbringen, dass nach einer Platin-basierten Induktions-Chemotherapie bei Patienten mit einer BRCA-Keimbahnmutation eine Olaparib-Erhaltungstherapie wirkt. Die Studie ist nicht ganz unumstritten, auch weil sie gegen Placebo getestet hat. Das heißt, in der Placebo-Gruppe hat man die Tumor-spezifische Therapie gestoppt.
Die Immuntherapie ist beim Pankreaskarzinom nicht sehr erfolgreich. Woran liegt das?
Das hat viele Aspekte. Das Pankreaskarzinom zählt zu den sogenannten Cold Tumors. Das heißt, es handelt sich um einen nicht sehr immunogenen Tumor. Wir haben als zweiten Punkt sicher die Stroma-Tumor-Interaktion. Hier gibt es die Hypothese, dass sie eine Barriere für die Immuntherapie darstellt. Wenn wir über CAR-T-Zellen sprechen, haben wir auch das Problem, ein adäquates Target zu finden – ganz anders als in der Hämatologie.
Es gibt Möglichkeiten, das Mikromilieu so zu beeinflussen, dass der Tumor sozusagen heiß gemacht wird. Ist das beim Pankreaskarzinom eine Option?
Die Möglichkeit besteht theoretisch, ist aber schwierig umzusetzen. In der HALO-Studie beispielsweise wurde eine Tumorstroma-gerichtete Therapie mit der Substanz PEGPH20 zusammen mit einer Standard-Chemotherapie untersucht. Das Ergebnis war negativ. Die Wirksamkeit der Chemotherapie konnte damit nicht verbessert werden. Es gab aktuell auch eine große Phase-III-Studie mit Pamrevlumab, einem Connective Tissue Growth Factor (CTGF)-Antikörper, in Kombination mit einer Chemotherapie. Die Studie wurde vorzeitig beendet, die Daten wurden aber noch nicht vorgestellt. Ob dieser Ansatz einen Vorteil bringt, muss man sicher auch erst mal abwarten.
Es gab dieses Jahr zudem eine interessante Publikation zur Kombination einer Chemotherapie plus Checkpoint-Inhibition plus dem CD40-Antagonisten Sotigalimab. Das ist eine Substanz, die die Immunogenität des Tumors erhöhen soll. Es gibt relativ gute Mausmodell-Daten, die zeigen, dass diese Kombination vielversprechend ist. Es gibt nun auch klinische Evidenz aus Phase-I- und Phase-II-Studien, die Signale zeigen, dass es Subgruppen geben könnte, die von solch einem neuen Ansatz profitieren könnten. Das ist aber alles sicher noch recht weit weg von der klinischen Routine.
Patienten mit Mikrosatelliten-instabilem Tumor scheinen besser auf Immuntherapeutika anzusprechen. Weiß man, woran das liegen könnte?
Ich glaube, das ist ein agnostisches Phänomen. Die MSI-Tumoren gehen oft mit einer sehr hohen Neoantigen-Last einher. Das sehen wir bei vielen Entitäten wie zum Beispiel bei Endometrium-, Kolon- oder Magenkarzinom. Das sehen wir auch beim Pankreaskarzinom. Aber das ist, wie gesagt, eine sehr spezielle Subgruppe, die nur ungefähr ein bis zwei Prozent und bei KRAS-Wildtyp-Patienten vielleicht bis zu fünf Prozent ausmacht.
Kombinationstherapien sind mit einer gewissen Toxizität verbunden. Lässt sich dieses Vorgehen bei diesem schwerkranken Patientenkollektiv rechtfertigen?
In den bisherigen kleinen Studien gab es keine größeren Signale, dass die Toxizität ein schwerwiegendes Problem ist, wenn man zum Beispiel mit Gemcitabin/nab-Paclitaxel kombiniert. Aber: Die Daten, die wir sehen – das muss man immer im Hintergrund behalten – stammen aus hochselektionierten Kollektiven. Das sind wahrscheinlich die fittesten Patienten mit den wenigsten Komorbiditäten – wir nennen sie die Athleten unter den Patienten. Toxizität ist sicher ein relevanter Punkt, der die Behandlung des Pankreaskarzinoms immer schwierig macht. In der palliativen Situation ist die Abwägung Toxizität versus die Frage, was man dadurch gewinnt, für den Patienten und den Behandler natürlich wichtig.
In der Hämatologie hat sich die CAR-T-Zelltherapie bereits etabliert. Wie ist der aktuelle Stand beim Pankreaskarzinom?
Dazu laufen einige Studien, sehr viele davon im asiatischen/chinesischen Raum. Ungeklärt ist hier immer noch die Frage nach dem idealen Target. Das Problem ist, dass wir kein Target haben, das exklusiv spezifisch für das Pankreaskarzinom ist. Man wird bei Targets wie CEA, HER2 oder Claudin, die zur Zeit am häufigsten untersucht werden, immer auch Off-Target-Effekte sehen. Wir führen dazu hier am LMU Klinikum gerade eine präklinische Studie durch, in der wir versuchen CAR-T-Zellen aus Tumormaterial zu generieren, das im Rahmen von Pankreaskarzinom-Resektionen gewonnen wird. Die Frage ist ja auch: Was ist denn bei einem soliden Tumor die Quelle der T-Zellen? Beim Pankreaskarzinom ist die optimale Quelle noch nicht ganz geklärt.
Sehen Sie hier beim Pankreaskarzinom eine Option für die Zukunft?
Ich glaube schon, das es in diese Richtung gehen wird. Der Weg wird wahrscheinlich deutlich komplizierter sein, als es in der Hämatologie der Fall war. Auch dort war es ja ein Prozess über viele Jahre. Aber ich denke, dass wir aus den laufenden Studien in den nächsten Jahren immer mehr Signale sehen werden, was die optimale Quelle, die optimale T-Zell-Modifikation und das geeignete Target sind.
Der große Hoffnungsträger sind zur Zeit mRNA-Vakzine. Wie sieht es hier beim Pankreaskarzinom aus?
Auch dazu gibt es laufende Studien. Beim diesjährigen ASCO wurde zum Beispiel eine Studie von BionTech vorgestellt – eine Phase-I-Studie mit 19 Patenten zur individualisierten mRNA-Vakzinierung mit Neoantigenen beim Pankreaskarzinom als adjuvante Therapie zusätzlich zur Standard-post-OP--Chemotherapie mit mFOLFIRINOX. Hier hat man immerhin gesehen, dass man mit der Vakzinierung eine Immun-antwort generieren kann und dass es zumindest sehr frühe Hinweise auf eine gewisse Wirksamkeit einer adjuvanten Vakzinierung geben könnte. In der Studie wurde die Vakzinierung postoperativ parallel zur adjuvanten Chemotherapie, zum Teil kombiniert mit dem Checkpoint-Inhibitor Atezolizumab, durchgeführt.
Wie funktioniert die Behandlung mit den mRNA-Vakzinen?
Es läuft gerade zur diesem neuen Therapieansatz eine internationale Studie zum Kolonkarzinom, an der wir hier am LMU Klinikum auch teilnehmen. Es handelt sich dabei um eine Phase-II-Studie mit dem primären Endpunkt DFS. Im Rahmen der Studie entnimmt man aus dem Resektat zunächst Tumorgewebe, aus dem Patienten-spezifische Neoantigene identifiziert werden. Das Vakzin, das hergestellt wird, ist Patienten-individualisiert, indem es genau auf diese Neoantigene abzielt. Es ist, wenn man so will, eine neoantigenspezifische Immuntherapie für jeden einzelnen Patienten. Es gibt also Ansätze von BionTech, in dieser Richtung mit der mRNA-Vakzinierungs-Technologie weiter zu machen. Das halte ich für sehr interessant.
Interview: Cornelia Weber