Die CAR-T-Zell-Therapie ist bei hämatoonkologischen Tumoren bereits etabliert. Herr Prof. Schaft, warum ist der Einsatz bei soliden Tumoren so problematisch?
Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen. Grundsätzlich sind hämatologische Tumoren besser angreifbar, weil es sich dabei um sogenannte lösliche Tumoren handelt und nicht um große Tumorgebilde. Die T-Zellen können recht einfach die Tumorzellen erkennen oder mit ihnen in Kontakt treten. Die CAR-T-Zelltherapie zielt bei hämatologischen Tumoren hauptsächlich auf CD19 und BCMA auf B-Zellen ab. Das Zerstören der B-Zellen ist relativ unproblematisch. Menschen können recht gut ohne B-Zellen leben. Sie können dann zwar keine Antikörper mehr gegen eventuelle Infekte bilden, was sich aber durch die Gabe von Immunglobulinen ersetzen lässt. Das ist der Grund, warum hämatologische Tumoren recht gut auf die CAR-T-Zelltherapie -ansprechen.
Bei soliden Tumoren läuft dieser Vorgang anders ab?
Bei soliden Tumoren zielen die CAR-T-Zellen meist auf Antigene ab, die teilweise auch auf gesundem Gewebe exprimiert werden. Dadurch kann eine On-Target-Off-Tumor-Reaktion entstehen. Dabei wird gesundes Gewebe attackiert und zerstört. Sehr ungüns-tig ist das beispielsweise, wenn es das Gehirn betrifft. Deshalb ist es essenziell, sehr gute Zielantigene zu finden. Derzeit sind sehr viele Gruppen auf der Suche nach dem idealen Zielantigen für CAR-T-Zellen bei diesen Tumoren.
Bei soliden Tumoren ist zudem die Durchdringbarkeit für diese T-Zellen eingeschränkt. Viele dieser Tumoren haben ein ungünstiges Mikromilieu, zum Beispiel durch die Ausschüttung von immunsuppressiven Zytokinen oder die Hochregulierung von bestimmten Molekülen, die auf T-Zellen reagieren und diese hemmen. Das sind die Hauptursachen, warum es bei soliden Tumoren noch nicht so gut funktioniert.
Wie lässt sich diese Problematik überwinden?
Hier gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen, die bereits klinisch getestet werden. Zum Beispiel kann man die CAR-T-Zellen direkt in den Tumor injizieren. Dadurch gibt es kein Problem mit der Migration in den Tumor. Und es kann auf diese Weise mehr Schaden am Tumor selbst angerichtet werden. Man kann auf den CAR-T-Zellen bestimmte Homing-Moleküle exprimieren, zusammen mit chimären Antigenrezeptoren, wodurch das Homing, also die Migration in Richtung Tumor, verbessert wird. Man kann extra aktivierende Moleküle auf den CAR-T-Zellen exprimieren, zum Beispiel Membran-gebundene Interleukin-15-Rezeptoren, die letztendlich ein positives Signal in die CAR-T-Zellen bringen, wodurch diese lange überleben können oder resistenter werden. Dann kann man bestimmte Ablenkungsmoleküle auf der Oberfläche exprimieren, zum Beispiel dominant-negative TGF-beta-Rezeptoren, die TGF-beta abfangen, um den negativen Effekt dieser Zytokine auf die CAR-T-Zellen zu vermeiden. Man kann bestimmte Zytokine in den CAR-T-Zellen induzieren, also die CAR-T-Zellen so manipulieren, dass sie andere Immunzellen anlocken, die dabei helfen können, dass die CAR-T-Zellen effektiv funktionieren. Man kann sogar die CAR-T-Zellen zu Antibody-Producers umwidmen, so dass sie selbst Antikörper gegen PD-1, PD-L1 oder CTLA4 produzieren und damit die inhibierenden Pathways blockieren können.
Sie verändern also die CAR-T-Zellen so, wie wenn Sie einen PD-L1-Hemmer einsetzen würden?
Genau. Man kann natürlich auch CAR-T-Zellen mit Immuncheckpoint-Blockaden kombinieren. Aber man kann auch die CAR-T-Zellen, wie gesagt, so manipulieren, dass sie selbst die Antikörper ausschütten. Das ist von Vorteil, weil dann die systemischen Effekte einer Checkpointblockade fehlen. Zudem ist es eine einmalige Behandlung.
Nehmen wir das Beispiel metastasiertes Melanom: Checkpointinhibitoren werden in dieser Indikation ja bereits sehr erfolgreich eingesetzt. Etwa die Hälfte der Patienten sprechen aber nicht darauf an. Ist die CAR-T-Zelltherapie hier eine Option in greifbarer Nähe?
Bei Patienten, die nicht auf eine Checkpoint-Blockade ansprechen, haben CAR-T-Zellen definitiv Potenzial. Dazu laufen momentan 16 klinische Studien nicht nur gegen das kutane, sondern auch gegen das Uvea-Melanom, die unterschiedlichste Zielantigene untersuchen. 4 Studien sind bereits abgerundet, bei 2 Studien ist der Status unbekannt und 10 rekrutieren im Moment. Wir selbst hoffen, dass wir nächstes Jahr im dritten Quartal selbst mit einer Therapie in den Patienten gehen können.
Eine andere Möglichkeit wären BITEs oder bispezifische Antikörper – eine Option beim metastasierten Melanom?
Das ist eine sehr interessante Entwicklung. Die Therapeutika sind einfacher herzustellen als ein zelluläres Produkt wie die CAR-T-Zellen. Aber es gibt auch klare Nachteile. CAR-T-Zellen können aktiv in den Tumor migrieren. BITEs oder bispezische Antikörper können das, ohne geeignete Bindepartner, wahrscheinlich nicht. Wenn Antikörper beispielsweise einen CD3-Bindekopf haben, dann binden sie an jede T-Zelle. Und es ist nicht garantiert, dass diese T-Zellen dann tatsächlich in den Tumor wandern.
Lässt sich vorhersehen, welche Patienten von einer CAR-T-Zelltherapie besonders profitieren könnten? Gibt es hierzu Biomarker-Testungen?
Es gibt keine einfachen Biomarker im Blut, die sicher aussagen, ob ein Patient gut auf CAR-T-Zellen reagieren wird. Aber es gibt andere Möglichkeiten, ein potenzielles Ansprechen vorherzusehen. Wenn beispielsweise die Zielantigen-Expression auf den Tumorzellen sehr hoch ist, dann wird der Patient sehr gut auf diese CAR-T-Zellen reagieren können. Das ist zwar noch Theorie, aber ich gehe davon aus, dass es sich auch in der Praxis so verhält.
Eine weitere Möglichkeit wäre, das CAR-T-Zell-Produkt eines Patienten zu analysieren. T-Zellen können unterschiedliche Phänotypen haben, zum Beispiel Gedächtnis-Effektor-Phänotypen. Es stellt sich jetzt heraus, das diese T-Zellen am besten geeignet sind, indem sie die Persistenz der CAR-T-Zellen im Patienten deutlich verbessern.
Das heißt, die Therapie wirkt länger?
Genau. Die T-Zellen bleiben länger am Zielort und können sehr schnell expandieren, wenn der Tumor wächst oder das Antigen auch an einer anderen Stelle auftaucht. Wenn also von einem Patient ein CAR-T-Zell-Produkt generiert werden kann, in dem sich viele dieser Gedächtniszellen befinden, dann würde ich persönlich einschätzen, dass er auch gut von dieser Therapie profitiert. Das bedeutet aber auch, dass wir erst dass CAR-T-Zellprodukt herstellen müssen, um zu sehen, ob der Patient darauf ansprechen wird.
Und wenn die Voraussetzungen nicht optimal sind – würden Sie die Therapie dann trotzdem durchführen?
Das hängt davon ab, ob es noch weitere Möglichkeiten gibt. Man kann die T-Zellen auch in vitro so manipulieren, dass sie tatsächlich diesen Gedächtnis-Effektor-Phänotyp bekommen. Daran arbeiten derzeit unterschiedliche Gruppen. Das Problem lässt sich also lösen. So kann man als Marker im Blut des Patienten nachsehen, wie viele Gedächtniszellen sich darin befinden. Wenn wir ein CAR-T-Zell-Produkt herstellen, erfahren wir dadurch, ob wir in dieser Richtung manipulieren müssen.
CAR-T-Zelltherapien sind mit einer gewissen Toxizität verbunden. Setzt die Therapie eine gewisse Fitness voraus?
Es handelt sich um Patienten im Endstadium, bei denen vorhergehende Therapien nicht angeschlagen haben. Diese Patienten sind definitiv nicht fit. Sicher gibt es Toxizitätsprobleme. Wir haben mittlerweile aber große Erfahrung mit diesen Nebenwirkungen bei hämatologischen Tumoren. Deshalb glaube ich, dass wir gut vorbereitet sind, weil wir wissen, was passieren kann. Beispielsweise bei einem Zytokinfreisetzungssyndrom, bei dem viel IL-6 ausgeschüttet wird, können wir einen Anti-IL-6-Antikörper geben. Darauf können wir uns vorbereiten. Ich glaube, durch die Erfahrung, die wir bereits haben, ist das händelbar.
Wird das maligne Melanom in absehbarer Zeit heilbar sein?
Ich glaube, dass wir eher in die Richtung gute Kontrolle gehen – nicht nur mit CAR-T-Zellen. Es gibt Impfstrategien, mit denen BioNTech effektiv gezeigt hat, dass RNA-Impfstoffe sehr gut funktionieren können. Eigentliches Forschungsziel des Unternehmens ist es ja, Impfstoffe gegen Krebs herzustellen. Hier habe ich große Hoffnung. Ich glaube, dass es nicht auf eine Therapie hinauslaufen wird, sondern man wird unterschiedlichste Strategien kombinieren. Ob wir den Tumor komplett heilen können, weiß ich nicht, aber ich hoffe, dass wir ihn mit der Kombination verschiedener Strategien gut kontrollieren können.
Von welchem Zeitrahmen gehen Sie aus?
Wenn wir nicht nur auf CAR-T-Zellen setzen, sondern auch andere Therapiestrategien in Betracht ziehen, dann glaube ich, dass zehn Jahre tatsächlich ein guter Zeitrahmen sind, wo wir definitiv mehr Möglichkeiten haben werden und mehr Patienten behandeln können als nur mit Checkpointinhibitoren. Wir werden grob geschätzt dann 80 bis 90 Prozent der Patienten gut behandeln können.
Sie haben 16 internationale Studien angesprochen. Wie steht es mit dem Standort Deutschland?
Was CAR-T-Zellen bei soliden Tumoren angeht, ist die Situation sehr schlecht. Es gibt im Moment 304 registrierte clinical trials gegen solide Tumoren. Nur drei davon finden in Deutschland statt (Stand 15. September 2022), davon nur eine, was das Melanom angeht. Im Rest von Europa sieht es allerdings nicht besser aus. Hier ist China wirklich der Vorreiter mit mehr als der Hälfte aller klinischen Studien, weitere 37 Prozent werden in den USA durchgeführt. Das liegt sicher auch daran, dass die Regulierungen durch die Behörden in Deutschland definitiv höhere Hürden setzen beispielsweise im Vergleich zu China.
Interview: Cornelia Weber
Prof. Dr. Niels Schaft, Wissenschaftlicher Gruppenleiter (AG RNA-basierte Immuntherapie), Hautklinik, Universitätsklinikum Erlangen