Immer mehr frühe Krankheitssymptome bekannt
„Die Parkinson-Krankheit ist eine Diagnose, die ausschließlich nach motorischen Symptomen klassifiziert wird“, erinnerte Prof. Claudia Trenk-walder, Kassel. Die 2015 publizierten Kriterien sind zwar bereits sehr viel komplizierter als die UK-Brain-Bank-Criteria, stellen aber immer noch die motorischen Leitsymptome in den Vordergrund, ergänzt um Ausschluss- und unterstützende Kriterien. „Dabei weist in den letzten 10 Jahren eine zunehmende Zahl gut belegter Studien darauf hin, dass bereits zum Diagnosezeitpunkt die Anzahl nicht-motorischer Symptome eine erhebliche Rolle spielt“, so Trenkwalder. Dazu zählen Riechstörungen, Schlafstörungen, orthostatische Dysregulation, gastrointestinale Störungen und kognitive Störungen.
DeNoPa-Studie: Beeinflussen Komorbiditäten das Erscheinungsbild?
Trenkwalder beobachtete im Rahmen der DeNo-Pa-Studie die Kohorte unbehandelter Parkinson-Patienten über 10 Jahre auf motorische und nicht-motorische Phänomene hin, um die unterschiedliche Progression zu untersuchen. Bei Patienten im gleichen Alter und nach etwa gleicher Krankheitsdauer kann sich die Parkinson-Erkrankung sehr unterschiedlich manifestieren. Trenkwalder illustrierte das an drei Patienten: Einer zeigte motorische Fluktuationen und Dyskinesien, der zweite eine geringgradige Akinese und Ruhetremor, der dritte eine ausgeprägte -axiale Akinese, Kamptokormie und Gangstörung.
In der Kohorte verschlechterten sich innerhalb von 4 Jahren motorische und kognitive Symptome. Parallel dazu fand Trenkwalder prädiktive Faktoren: koronare Herzerkrankung, Hypertonie oder HbA1c-Wert. Daher müsse man darüber nachdenken, ob nicht nur die Parkinson-Erkrankung selbst, sondern auch begleitende Komorbiditäten den Phänotyp und die Progression beeinflussen.
Zuckungen im Schlaf als frühes Warnsignal
Patienten, die eine REM-Schlafstörung entwickeln, haben oft psychiatrische Störungen, deutlichere kognitive Defizite und zeigen die Symptome schon sehr früh. Kleine Zuckungen im Schlaf können bei ihnen schon Jahre vor der Schlafstörung auftreten und ein Hinweis darauf sein. Auch ein sich erhöhender Muskeltonus ist ein Hinweis auf eine fortschreitende Schlafstörung. Es gebe also immer frühe Zeichen, an denen eine Synucleinopathie erkannt werden könne, denn die Schlafstörung wird vermutlich auch durch Synuclein-Ablagerungen verursacht: Bei 90% der Patienten mit REM-Schlafstörung findet sich Synuclein im Liquor, was mit einem erhöhten Risiko für eine Parkinson- oder Lewy-Körperchen-Krankheit einhergeht.
alpha-Synuclein und Tau – zwei Proteine im Visier
Heute unterscheidet man atypische Parkinson-Syndrome klinisch von der Parkinson-Krankheit. „Zum Beispiel, wenn eine früh im Verlauf auftretende geistige Funktionseinschränkung auftritt, gehen wir von einer Demenz mit Lewy-Körperchen aus. Wenn sich die Krankheit im frühen Verlauf mit einer Augenbewegungs-Störung und Fallneigung bemerkbar macht, sprechen wir von einer progressiven Supranucleären Blickparese“, so Prof. Günter Höglinger, Hannover, zweiter Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Parkinson (DGP).
Verschiedene Fehlfaltungen, andere Symptome
Histopathologisch finden sich in den Gehirnen aller Patienten verklumpte Proteine, die die Zellenfunktionen stören. Bei der klassischen Parkinson-Erkrankung sind in den Nervenzellen die typischen runden Levy-Körperchen aus alpha-Synuclein sichtbar, bei den synucleinen Erkrankungen findet man das gleiche Protein mit ganz anderer Morphologie in den Stützzellen.
Das zweite Protein, das in den Nerven- und Stützzellen aggregiert, ist das Tau-Protein. Ganz neu und revolutionär sei die Erkenntnis, dass verschiedene Fehlfaltungen dieser zwei Proteine unterschiedlich verklumpen und so die verschiedenen Parkinson-Syndrome verursachen, so Höglinger.
Progression lässt sich noch nicht aufhalten
Inzwischen sind über 20 Medikamente für die Indikation Parkinson zugelassen. Zu Beginn der Erkrankung werde typischerweise ein Medikament eingesetzt, in der mittleren Phase werden mehrere Wirkstoffe kombiniert, bei der fortgeschrittenen Krankheit kommen tiefe Hirnstimulation und fokussierter Ultraschall infrage. „Was wir aber noch nicht können, ist, den Fortschritt dieser Erkrankung aufzuhalten“, so Höglinger.
Die Verklumpung der Eiweiße beginnt in einem Hirnareal und breitet sich von dort aus. Dadurch werden die Probleme der Patienten immer größer, und Hirnzellen sterben vermehrt ab. Dementsprechend geht es den Patienten im Laufe der Zeit zunehmend schlechter. „Diesen Verlauf würden wir gerne stoppen können, also Therapien entwickeln, die nicht nur die Symptome lindern, sondern das Fortschreiten bremsen.“ Dafür werden derzeit drei Bereiche stark beforscht: genetische Risikofaktoren, die verschiedenen Fehlfaltungen der Proteine und wie sich diese entlang der Nervenfasern ausbreiten.
Drei Forschungsansätze
Bestimmte Gene können das Risiko, an Parkinson zu erkranken, erhöhen oder auch senken. Einige davon sind häufig, haben aber nur einen kleinen Effekt, andere wiederum sind sehr selten, haben aber einen starken Effekt und sind für die Erblichkeit verantwortlich. Ebenfalls wird intensiv untersucht, wie die unterschiedlichen fehlgefalteten Proteine mit den verschiedenen Erkrankungen zusammenhängen. „Das ist deswegen relevant, weil man sich vorstellen kann, dass für unterschiedliche Faltungen jeweils andere Medikamente nötig sein werden“, so Höglinger.
Die dritte spannende Frage ist, wie die unterschiedlichen Funktionsstörungen bei der Parkinson-Krankheit entstehen. Offensichtlich spielt dabei der Ort eine Rolle, an dem sich die verklumpten Proteine ablagern. Mit einer neuen bildgebenden Technik können die Ablagerungen im Gehirn lebender Patienten dargestellt werden.
Inzwischen ist klar, dass sich die Verklumpungen im Gehirn nicht zufällig bilden, sondern entlang der Faserbahnen ausbreiten. „Das sind sozusagen die Autobahnen, über die sich diese krankmachenden Prozesse ausbreiten.“
Tiefe Hirnstimulation: subthalamischer Nucleus als optimaler Zielpunkt
Prof. Paul Krack, Bern, Schweiz, beschäftigt schon seit vielen Jahren die Frage, ob der Globus pallidus internus (GPi) oder der subthalamische Nucleus (STN) der optimale Zielpunkt für die tiefe Hirnstimulation ist. Schon vor 25 Jahren konnte er die ersten Patienten untersuchen, die in diesen Zielstrukturen behandelt wurden. Er stellte fest, dass sich der Akinese Subscore, das Stepping sowie Gangbild durch die STN-Stimulation deutlicher verbesserten als durch eine GPi--Stimulation. Der Einfluss auf Tremor und Trigor war vergleichbar, der Levodopa-Test war nur bei der STN-Stimulation prädiktiv für das Outcome. In Bezug auf Dyskinesien profitierten die Patienten gleichermaßen.
Das Nebenwirkungsprofil in beiden Gruppen unterschied sich allerdings: Bei Patienten mit STN-Stimulation beobachtete Krack postoperative Apathien, bei GPi-Stimulation verschlechterte sich die On-Akinese. Der Preis für eine verbesserte Dyskinesie könne dementsprechend eine On-Akinese sein, so Krack.
Viele Studien – unterschiedliche Ergebnisse
- Eine Arbeitsgruppe aus Paris stellte fest, dass sich bei einzelnen Patienten unter GPi-Stimulation die schwere Akinese nicht ausreichend besserte und dass die Wirkung mit der Zeit verloren ging – das entspricht auch Kracks Erfahrungen.
- In einer deutschen Studie mit 16 STN- und 11 GPi-Patienten verbesserten sich unter STN als Ziel die Werte auf der Unified Parkinson’s Disease Rating Scale (UPDRS); Off-Phasen, Dyskinesien, Medikamentendosis und Batterieverbrauch waren günstiger. Die Autoren betonten, dass sie Verhaltensänderungen postoperativ nur unter der STN-Stimulation beobachteten, diese Patienten mussten stärker betreut werden. Daher beurteilten die Autoren beide Zielstrukturen als gleichwertig. Nach 5 Jahren allerdings mussten 40% der STN-Patienten erneut operiert werden, weil die Off-Symptome nicht mehr ausreichend verbessert waren, obwohl die Dopamin-Dosis verdoppelt worden war. Die Ursache dafür war eine Toleranz, keine Fehlimplantation.
- Auch eine amerikanische Studie ergab, dass sich unter STN-Stimulation die Motorik wenig stärker verbessert, dass aber Verhaltensänderungen auftreten. Die Autoren schlussfolgerten daraus, dass es zu früh sei, die GPi-Stimulation aufzugeben. Daraufhin wurde 2010 in den USA eine große Studie durchgeführt, die schließlich zur FDA-Zulassung führte: In ihr waren die motorischen Ergebnisse identisch, Kognition im STN-Arm verschlechtert, Depression verbessert.
Das Fazit sei, so Krack, man müsse Patienten im GPi operieren, damit sie nicht dement und depressiv werden. Diese Schlussfolgerungen allerdings basierten darauf, dass sich sekundäre Endpunkte in klinisch nicht relevantem Maß verbesserten.
Europäische Studie gibt den Ausschlag
In einer 2012 veröffentlichten großen europäischen Studie war das Verhalten das primäre Outcome, weil man davon ausging, dass die motorischen Verbesserungen bei beiden Methoden gleichwertig seien. Während es im Verhalten der Patienten keinen Unterschied gab, waren die motorischen Ergebnisse für beide Zielstrukturen deutlich unterschiedlich: UPDS, Aktivitäten des täglichen Lebens, Medikamentenreduktion und die axialen Symptome waren unter STN-Stimulation deutlich stärker gebessert. Die Autoren schlussfolgerten aus ihren Ergebnissen, dass STN die günstigere Zielstruktur sei.
Auch die Ergebnisse der EARLYSTIM-Studie unterstützen diese Entscheidung. Während man bis dahin Patienten mit Verhaltensstörungen nicht im STN operierte, ist man heute der Meinung, dass sich diese Störungen durch die Operation im STN bessern können. Postoperativ sei der STN-Patient kurzfristig zwar schwerer zu handhaben und brauche etwas mehr Zeit, langfristig aber sehe man sehr häufig nicht gut gebesserte GPi-Patienten. „STN ist also das bessere Target“, so der Experte.
Roland Müller-Waldeck
Quelle: Veranstaltungen im Rahmen der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Parkinson und Bewegungsstörungen e.V. vom 24. bis 26. März 2022