Newsletter

Medizin

© Adobe Stock/Vertigo Signs

Impfungen – ein Booster fürs Immunsystem?

Können Impfungen auch unabhängig vom enthaltenen Antigen gegen andere Infektionskrankheiten schützen? Neue Erkenntnisse machen Hoffnung auf zusätzliche positive Effekte.

Dr. med. Markus Frühwein, München

Die Idee dahinter ist die Stimulation eines trainierbaren Immunmechanismus („trained immu­nity“) des angeborenen Immunsystems durch eine Vakzination. Neben der spezifischen Wirksamkeit gegen ein bestimmtes Antigen könnte damit auch eine Wirkung unabhängig von der Pathogen-spezifischen Immunität erreicht werden.

Trainingseffekt: Mehr Schlagkraft gegen Krankheitserreger
Bisher wurde die angeborene Immunität eher als gedächtnisfreier Universalhammer in der ersten Reihe beim Kampf gegen jegliche Art von Erregern gesehen, der durch wiederholte Auseinandersetzungen nichts dazulernt.
Es mehren sich jedoch die Hinweise darauf, dass auch dieser Teil unserer Immunabwehr eine gewisse Lernfähigkeit (trained immunity) besitzt und nach Stimulierung auf Folgeinfek­tionen durch epigenetische Veränderungen eine verstärk­te Immunantwort entwickeln kann: Im Vergleich zur Erstantwort auf ein Antigen fällt die Folge­antwort durch das angeborene Immunsystem deutlich verstärkt aus. Dieser Effekt der Hyperaktivierung findet sich auch bei Folge­infektionen mit Erregern, die keine Ähnlichkeit mit dem ersten Erreger-Antigen aufweisen. Es wird von einer möglicherweise über mehrere Monate anhaltenden Wirkung ausgegangen, bei der Antikörper keine Rolle spielen.
Untermauert wurde diese Hypothese in Bezug auf den Effekt von Impfungen beispielsweise durch Daten von Masern-, BCG-, Polio- oder TdaP-Impfstoffen. Gerade bei BCG-Geimpften zeigte sich ein verstärkter unspezifischer Schutz gegen Viren, Bakterien und Parasiten.

Studie zeigt: nach Zoster-Impfung weniger COVID-19-Erkrankungen
Einen neuen Hinweis auf eine entsprechende Wirkung von Impfungen ergab jetzt auch eine in diesem Jahr publizierte Studie (Bruxvoort et al., 2022). Sie untersuchte den Zusammenhang zwischen der Verabreichung eines Herpes-zoster-Totimpfstoffs sowie COVID-19-Erkrankungen. Eine Studienpopulation von ca. 450.000 Personen über 50 Jahren aus Südkalifornien wurde dazu von März 2020 bis Dezember 2020 unter die Lupe genommen, um herauszufinden, ob die Impfung gegen Gürtelrose einen Einfluss auf COVID-19-Erkrankungen und damit verbundene Hospitalisierungen hat. Dazu wurden zwei Studiendesigns mit gematchten Kohorten (Zoster-geimpft oder nicht geimpft) und  einem Test-negativ-Design (COVID-19-Dia­gnose positiv oder negativ) angewendet.
Die Ergebnisse fielen überraschend eindeutig aus. In der Kohortenstudie war in der Gruppe mit mindes­tens einer Impfung gegen Gürtelrose im Vorfeld das Risiko für eine COVID-19-Diagnose um 16% reduziert, für Hospitalisierungen um 32%. Bei einer abgeschlossenen Immunisierung zeigte sich ein um 19% geringeres Diagnose- und ein um 36% geringeres Hospitalisierungs-Risiko.
Die gewonnenen Daten ließen sich durch das Test-negativ-Design gut untermauern: Bei einmalig gegen Gürtelrose Geimpften  waren die COVID-19-Diagnose-Raten um 16% reduziert, bei zweimalig Geimpften um 18%.
Auf der anderen Seite wurde in einem anderen Studien-Setting (Bhavsar A. et al, 2021) ein deutlich erhöhtes Risiko für eine Herpes-zoster-Episode nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 (+15%) und nach COVID-19-bedingtem Krankenhausaufenthalt (+21%) nachgewiesen. Dies ist wiederum ein Hinweis darauf, dass schwere Erkrankungen nicht unbedingt zu einer besseren immunologischen Lage beitragen, wie wir es auch bereits von Maserninfektionen kennen.

Mit Pathogen-unspezifischer Immunität breit aufgestellt
Damit lässt sich die Zoster-Impfung in Zusammenhang mit einem signifikant niedrigeren Risiko für eine COVID-19-Dia­gnose und einen COVID-19-Krankenhausaufenthalt bringen, was die Theo­rie unterstützt, dass sich die Wirksamkeit von Impfungen nicht nur auf eine pathogenspezifische Immunität beschränken muss. Im praktischen Alltag hat die Impfung bei Durchimpfungsraten von ca 5% in den Risikogruppen in Deutschland allerdings ­eher keinen Einfluss auf das Infektionsgeschehen.
Inwieweit auch die Zusammensetzung des Impfstoffes, insbesondere in Bezug auf Adjuvantien, eine Bedeutung hat, bleibt abzuwarten. Der in der Studie verwendete Impfstoff enthält mit dem Wirkverstärker AS01 eine stark immun­stimulierende Substanz, die eine Verstärkung sowohl der humoralen und als auch der zellulären Immunantwort bewirkt.
In der Studie wurde außerdem der Effekt einer Influenza-Impfung auf COVID-19-Erkrankungen und Hospitalisierungen untersucht. Hier ließ sich jedoch kein Zusammenhang nachweisen.
Der Bereich „trained immunity“ könnte unser Verständnis des Immunsystems und der Wirksamkeit von Impfstoffen in den nächsten Jahren grundlegend verändern. Bis zu einer validen Datenbasis ist es aber trotz bisher vielversprechender Ergebnisse sicher noch ein weiter Weg.