Dr. med. Markus Frühwein, München
Eine generelle Empfehlung für eine Auffrischimpfung gegen COVID-19 erscheint im Moment nicht sinnvoll. Auch im Hinblick auf die Entwicklung Varianten-angepasster Impfstoffe und neuer Impfstoffe könnten sich in naher Zukunft sinnvollere Möglichkeiten ergeben, als eine Auffrischimpfung mit den aktuellen Impfstoff-Optionen. Dies natürlich nur, soweit man von einem sicheren Schutz für die Vorgeimpften ausgehen kann. Der Schutz durch die aktuell verfügbaren Impfstoffe lässt aber nachweislich mit der Zeit nach.
Risikogruppen profitieren offenbar am deutlichsten
Leider ist die Datenlage für die Auffrischimpfungen momentan noch sehr inhomogen. Es zeigt sich aber, dass besonders Risikogruppen von einer erneuten Impfung profitieren würden. Denn insbesondere die stark gefährdete Gruppe der Immunsupprimierten reagiert nur eingeschränkt auf die Erst- und Zweitimpfungen. Für diese Risikogruppen ist ein Booster daher sinnvoll.
Die Gesundheitsministerkonferenz hatte sich Anfang September darauf verständigt, allen Menschen über 60 Jahren sowie Personal in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen die Möglichkeit für eine Auffrischimpfung gegen das Coronavirus zu geben. Diese soll mindestens 6 Monate nach der vollständigen Immunisierung erfolgen.
Bürde für den impfenden Arzt
Die Nutzen-Risiko-Abwägung ist dabei Aufgabe des impfenden Arztes. Bisher liegt aber keine Empfehlung der STIKO dazu vor. Dass sich die Politik hier erneut vor die STIKO drängt, ist sicher mit Skepsis zu sehen, da hier auch mit der individuellen Risikoabwägung durch den Arzt eine zusätzliche Last auf die Schultern der impfenden Ärzte gelegt wird: Zum einen ist die Boosterimpfung so mit einem hohen Beratungsaufwand verbunden, zum anderen liegt durch die fehlende STIKO-Empfehlung für diese Gruppe das Risiko beim Arzt.
Immunspupprimierte Patienten: Nach Erkrankung differenzieren
Nicht ausreichende Durchimpfungsraten in der Bevölkerung und die Verbreitung stark ansteckender Virusvarianten von SARS-CoV-2 stellen vor allem für Immunsupprimierte eine besondere Gefährdung da.
Die Wirksamkeit der Impfung gegen COVID-19 scheint dabei auch sehr abhängig von der Art der Immunsuppression zu sein. Beispielsweise ließen sich bei HIV-Patienten mit CD4-Zellzahlen über 200 und Patienten mit soliden Tumorerkrankungen Seropositivitätsraten von über 94% und über 80% nachweisen.
Schlechter schaut es hingegen bei Organtransplantierten Patienten und bei hämato-onkologischen Erkrankungen aus. So ließ sich in einer Studie bei Nierentransplantierten Patienten beispielsweise nur bei jedem vierten vollständig mit einem mRNA-Vakzin Geimpften eine Antikörperantwort erzielen.
Doch selbst wenn die Impfung eine Immunantwort auslöst, fällt diese in der Regel schwächer aus als bei Gesunden. Da inzwischen eine immer dichtere Datenlage vorliegt, dass die Höhe der neutralisierenden Antikörper umgekehrt mit dem Risiko für Durchbruchinfektionen korreliert, ist der Schutz durch die Impfung bei Immunsupprimierten sicher eingeschränkt, auch wenn ein negativer Titer nicht zwangsweise einen nicht vorhandenen Schutz anzeigen muss, falls die Impfung eine zelluläre Reaktion im Hinblick auf spezifische T-Zellen ausgelöst hat.
Boostern oder nicht?
Sollte man aufgrund des schlechten Ansprechens bei mmunsupprimierten Patienten folglich auf eine Impfung eher verzichten und sich die Impfreaktion sparen? Eine Frage die sich eigentlich bei jeder Impfung von Personen mit eingeschränktem Immunsystem stellt. Immunsupprimierte reagieren generell in der Regel auf Impfungen schlechter, haben aber in Bezug auf Ansteckungswahrscheinlichkeit und schwere Krankheitsverläufe ein besonderes Risiko. Umso wichtiger ist daher ein vollständiger Impfschutz, auch wenn er nicht so wirksam ist wie bei Gesunden. Hier sollte auch berücksichtigt werden, dass neben dem durch Antikörper vermittelten Schutz vor einer Infektion auch der Schutz vor schweren Verläufen einer COVID-Erkrankung, Hospitalisierungen und Tod wichtig ist – und dieser ist bei den meisten Corona-Impfungen gegeben.
Vor diesem Hintergrund spielt nun auch die Auffrischimpfung eine entscheidende Rolle. In mehreren Studien ließ sich ein gutes Ansprechen auch bei Immunsupprimierten nachweisen. Dabei reagierten selbst Patienten, die bisher keine Antikörper auf die Impfung gebildet hatten, auf die dritte Impfung. Die STIKO hat sich jetzt für die Auffrischimpfung von Immunsupprimierten ausgesprochen.
Koadministration nutzen
Auch die Möglichkeit zur simultanen Gabe aller Totimpfstoffe zusammen mit einer COVID-19-Impfung hat die STIKO jetzt in ihre aktualisierten Empfehlungen aufgenommen. Das heißt, dass zwischen COVID-19-Impfung und anderen Totimpfstoffen der bisherige Mindestabstand von 14 Tagen nicht mehr eingehalten werden muss. Mittlerweile liegen umfangreiche Daten zur Sicherheit und Verträglichkeit der in Deutschland zugelassenen COVID-19-Impfstoffe vor. Aus Sicht der STIKO ist eine fortgesetzte Einschränkung der Koadministration für die genaue Differenzierung der Impfreaktionen daher nicht mehr erforderlich. Andere Länder, beispielsweise die USA, setzen die Koadministration schon lange um.
Hier bietet sich für die impfenden Ärzte eine Chance, die während der Pandemie vernachlässigten Standardimpfungen unkompliziert nachzuholen und den Praxisbesuch eines Patienten, der die COVID-Impfung wünscht, auch in anderer Hinsicht impfmedizinisch sinnvoll zu nutzen. Gerade in der kommenden Influenza-Impfzeit lässt sich der Aufwand in den Praxen, der durch die Vereinbarung mehrerer Termine und Einhaltung der Mindestabstände entstanden wäre, deutlich verringern.