Dr. med. Markus Frühwein, München
Wer geimpft werden sollte und mit welchem Impfstoff – diese beiden Fragen lassen sich relativ einfach beantworten, auch wenn es mit Blick auf die Durchimpfungsraten in den Risikogruppen an der Umsetzung mangelt. Die STIKO hat klare Empfehlungen für Zielgruppen in der Allgemeinbevölkerung ausgesprochen. Daneben bestehen noch berufliche Indikationen, die vor allem im Hinblick auf den Schutz von Patienten oder betreuten Personen wichtig sind, bei Ausbrüchen oder als Reiseimpfung. Generell ist die Impfung für jeden, der keine Influenza bekommen möchte, aber eine Überlegung wert, und sie wird gerade im beruflichen Setting in den letzten Jahren verstärkt wahrgenommen.
Bei den über 60-Jährigen sollte nach STIKO der quadrivalente Hochdosisimpfstoff verwendet werden, der einen vierfachen Antigengehalt aufweist und gerade in dieser Altersgruppe einen besseren Schutz bietet als Standarddosis-Impfstoffe. Das BMG hat auch für diese Saison klargestellt, dass grundsätzlich alle Impfstoffe erstattet werden können. Der Hochdosis-Impfstoff ist für Personen unter 60 Jahren nicht zugelassen. Bei den Jüngeren wird unabhängig von Vorerkrankungen eine Impfung mit einem inaktivierten Standarddosis-Impfstoff empfohlen, dabei ist es unerheblich, ob dieser ei- oder zellkulturbasiert ist. Für Kinder und Jugendliche spielt der lebend-attenuierte Impfstoff (LAIV) eine Rolle, auch weil die Anwendung für die zu Impfenden deutlich angenehmer ist.
Der richtige Zeitpunkt ...
Schwieriger als in den Vorjahren gestaltet sich die Frage nach dem passenden Impfzeitpunkt. Gerade für die ältere, immunseneszente Bevölkerung ist ein guter Schutz im Frühjahr wichtig, da hier die meisten Influenzafälle auftreten. Da die Dauer der Wirksamkeit mit der Zeit abnimmt, sollte die Impfung auch nicht zu früh erfolgen. Der November oder Dezember eignet sich hier eigentlich gut.
Üblicherweise hilft ein Blick auf die Südhalbkugel, um auch für unsere Breitengrade eine gewisse Vorhersage zum Ablauf der kommenden Influenzasaison zu treffen. Dort ließ sich nach 2 Jahren, die fast ohne Influenza-Aktivität abliefen, wieder ein Anstieg auf den Durchschnitt der letzten 5 Jahre nachweisen. Auffällig war jedoch, dass der Peak 2 Monate früher als sonst auftrat. Damit besteht natürlich auch ein Risiko für ein vergleichbares Szenario in Europa.
Aktueller ARE-Index
Die Zahlen für Deutschland schauen aktuell eher beruhigend aus. Der ARE-Index steigt in diesem Jahr schneller an als in den Vorjahren, wobei am stärksten jüngere unter 34 Jahren betroffen sind. Der Wert liegt mit fast 10% (fast 8 Mio. Erkrankte) auf einer Höhe, die normalerweise nur im Frühjahr während einer Influenza-Welle beobachtet wird und auch in den zwei letzten Corona-Jahren in diesem Zeitraum nsicht erreicht wurde. Der Anstieg spiegelt sich auch in den vermehrten Arztbesuchen mit einem Konsultationsindex von ca. 1400/100.000 wider, der damit ebenfalls über dem Wert der Vorjahre liegt.
Hinweise auf eine höhere Influenza-Aktivität als im Vorjahreszeitraum ergeben sich bei einem Nachweis von 3% Influenzaviren in den Proben jedoch nicht. Auch ein Anstieg der Influenza- positiven Proben ließ sich in den letzten Wochen nicht verzeichnen. Seit einem kurzen, aber ungewöhnlichen Anstieg im Mai sind die Influenza-Raten konsequent niedrig. Auch im Rest von Europa kann im Moment von einem sehr niedrigen Influenza-Auftreten gesprochen werden. Influenza B scheint bei fast ausschließlichem Influenza-A-Anteil nur eine geringe Rolle zu spielen.
Ob ein deutlich verfrühter Anstieg der Influenzafälle in der Saison 2022/2023 zu erwarten ist, lässt sich nicht sicher ausschließen, die aktuellen Daten aus Deutschland sprechen jedoch nicht unbedingt dafür. Dafür ist die Saison bisher von anderen Atemwegserkrankungen wie Rhinoviren und SARS-CoV-2 in besonderem Ausmaß geprägt.
Extra-Schutz für Herzpatienten
Für die Frage nach der Notwendigkeit einer Influenza-Impfung, insbesondere bei den Risikogruppen, wird die Studienlage mit jedem Jahr dichter. So konnte beispielsweise kürzlich die IAMI-Studie nachweisen, dass eine Grippeimpfung bei Postinfarkpatienten in den folgenden 12 Monaten das Risiko für Todesfälle, Herzinfarkte und Stentthrombosen um 28% senkt. Gerade für den Schutz der Älteren und besonders Gefährdeten liegen immer bessere Daten vor, beispielsweise im Hinblick auf Hochdosis- und adjuvantierte Impfstoffe, auch wenn die Wirksamkeit saisonal stark schwanken kann.