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Schleimhautpemphigoid: Erosionen und Blasenbildung an der Gingiva. Einliegendes Nahtmaterial nach Probebiopsie.
© Hofmann

Neue S2k-Leitlinie: Interdisziplinär gegen das Schleimhautpemphigoid

Schmerzhafte Blasen, Ulzerationen, Vernarbungen – das selten auftretende Schleimhautpemphigoid geht mit einer großen Einschränkung der Lebensqualität einher. Wie den betroffenen Patienten geholfen werden kann, fasst eine neue S2k-Leitlinie zusammen – ein Interview mit der Leitlinien-Koautorin Prof. Silke Hofmann aus Wuppertal.

Auf Grund seiner Seltenheit wird das Schleimhautpemphigoid häufig nicht oder zu spät erkannt. Frau Professor Hofmann, wie äußert sich diese Erkrankung?

Hofmann: Das Scheimhautpemphigoid kann sich klinisch sehr unterschiedlich äußern. Am häufigsten weisen die Patienten eine Beteiligung der Mundschleimhaut auf, in Form von oft schmerzhaften Rötungen und Blasen. Bei vielen Patienten beginnt es mit einer Gingivitis. In der Folge treten dann oft an der Lippe, den Lippeninnenseiten, an der buccalen Wangenschleimhaut, der Zunge oder am Gaumen teilweise pralle Blasen auf. Im Verlauf löst sich das Blasendach ab und es bleibt eine Ulzeration, die sehr beeinträchtigend sein kann.
Bei einer Reihe von Patienten sind neben der Mundschleimhaut auch weitere Schleimhäute beteiligt: Das Schleimhautpemphigoid kann die Nasenschleimhaut betreffen, was sich durch Nasenbluten, Verkrustung oder eine reduzierte Nasen-atmung äußern kann. Wenn der Rachen betroffen ist, werden Schluckschmerzen berichtet oder bei Beteiligung des Kehlkopfes Heiserkeit. Darüber hinaus gibt es eine Gruppe von Patienten, die ein reines okuläres Schleimhautpemphigoid haben mit einer ausschließlichen Beteiligung der Konjunktiven, was sich durch Fremdkörpergefühl, Rötung der Konjunktiva und Trockenheitgefühl an den Augen äußert. Hier besteht vor allem die Gefahr, dass es bei zu später Diagnosestellung auch zu einer Vernarbung an der Konjunktiva kommen kann, mit der Gefahr einer Erblindung.
Es gibt auch Patienten, die eine Genitalschleimhautbeteiligung aufweisen, ebenfalls mit Blasenbildung, Erosion und Ulzeration an der Vulva oder am Penis. Eine Geschlechtsprädilektion gibt es nicht. Es sind überwiegend ältere Patienten, meistens ab dem sechzigsten Lebensjahr betroffen.

Ist etwas über den Ursprung oder mögliche Triggerfaktoren bekannt?

Ganz konkret kennt man keine Auslösefaktoren. Wie andere Autoimmunerkrankungen tritt es auch spontan auf. Es gibt aber eine Sonderform des Schleimhautpemphigoids: Das betrifft Patienten, bei denen Autoantikörper im Serum gegen das Protein der oberen Dermis, Laminin 332, nachgewiesen werden können. Circa ein Drittel dieser Patienten weisen eine zu Grunde liegende Neoplasie auf, die mit der Antikörperbildung und der Entwicklung eines Schleimhautpemphigoids assoziiert ist.

Was unterscheidet das Schleimhautpemphigoid von anderen bullösen Autoimmundermatosen?

Die meisten anderen bullösen Autoimmundermatosen manifestieren sich primär an der Haut, assoziiert in einem Teil der Fälle mit einer Schleimhautbeteiligung. Sind die Schleimhauterosionen und die -blasenbildung das Hauptmerkmal, dann liegt in der Regel ein Schleimhautpemphigoid vor. Da dieses teilweise mit Vernarbungen einhergeht, ist es als schwerwiegender zu betrachten als zum Beispiel das bullöse Pemphigoid. Zudem ist bei diesen Patienten die multidisziplinäre Betreuung besonders wichtig, da multiple Schleimhäute betroffen sein können.

Bislang gab es keine einheitlichen Vorgehensweisen hinsichtlich Diagnostik und Therapie. Was empfiehlt die neue Leitlinie für eine adäquate Diagnostik?

Die Diagnostik beruht auf der Entnahme einer Probebiopsie, idealerweise aus einer kleinen Blase, um zu sehen, in welcher Ebene der Haut die Blase lokalisiert ist: Im Fall des Schleimhautpemphigoids wäre das subepidermal. Die Entnahme einer zweiten kleinen Gewebeprobe aus einer periläsionalen Stelle für eine direkte Immunfluoreszenz wird unbedingt empfohlen. Dabei kann man in der Haut abgelagerte IgG- oder auch IgA-Antikörper und oft auch Komplementablagerung C3 nachweisen, linear in der Basalmembran-zone. Das ermöglicht die Unterscheidung zum Beispiel vom Pemphigus vulgaris, der auch oft an der Mundschleimhaut beginnt.
Zur weiteren Diagnostik gehört die Suche nach spezifischen Autoantikörpern gegen Basalmembranproteine im Serum. Dazu wird eine indirekte Immun--
fluoreszenz-Untersuchung durchgeführt sowie eine ELISA-Diagnostik oder ein Immunblot, um spezifische Antikörper gegen die bei dieser Erkrankung relevanten Autoantigene zu identifizieren. Das sind vor allem das BP180, das BP230, das Laminin 332 und manchmal auch das Alpha-6-Beta-4-Integrin, sowie gelegentlich Kollagen VII.
Zu guter Letzt gehört bei Verdacht auf Beteiligung anderer Schleimhäute die Ausbreitungsdiagnostik dazu, mit ggf. Überweisung zum HNO-Arzt, Gynäkologen, Ophthalmologen, Zahnarzt oder Gastroenterologen.

Welche Therapie wird empfohlen?

Die Therapie orientiert sich am Schweregrad. Bei Patienten, die lediglich an der Mundschleimhaut einen milden Befund aufweisen, kann man von einem milden Schleimhautpemphigoid ausgehen. In diesen Fällen reicht unter Umständen eine antientzündliche Lokaltherapie mit Kortikosteroiden oder man verabreicht zusätzlich immunmodulatorische Substanzen wie Dapson oder Tetracycline und eventuell auch niedrig dosiertes Prednisolon in der Dosis von 0,3 bis 0,5 mg/kg Körpergewicht pro Tag. Bei Patienten, die einen ausgeprägten Mundschleimhautbefall haben oder eine Beteiligung weiterer Schleimhäute, würde man als nächste Stufe Prednisolon in einer Dosierung von 0,5 bis 1 mg/kg Körpergewicht pro Tag einsetzen und zusätzlich eine steroid-sparende Medikation mit Dapson, Tetracyclinen oder auch MTX. Sollte das nicht ausreichen, würde man auf klassische Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Mycophenolat umstellen.
Für Patienten, die ein schweres Schleimhautpemphigoid aufweisen, zum Beispiel mit einer Beteiligung der Augen oder des Larynx, steht Cyclophosphamid als Pulstherapie in Kombination mit Kortikosteroidpulsen alle vier Wochen intravenös in der Klinik zur Verfügung oder als weitere Option bei refraktären Verläufen auch der Anti-CD20-Antikörper Rituximab sowie die Gabe von intravenösen Immunglobulinen.

Ist eine langfristige Erscheinungsfreiheit erzielbar?

Das ist bei den meisten Patienten durchaus zu erreichen, in der Regel aber unter Fortführung einer Erhaltungstherapie. Sind die Patienten gut eingestellt, kann auch eine hohe Lebensqualität erzielt werden. Eine frühe Diagnosestellung und Einleitung einer immunsuppressiven Therapie kann verhindern, dass es zu Folgeschäden wie Vernarbungen mit all den damit verbundenen Einschränkungen kommt – Heiserkeit, Atemnot, Erblindung, vaginale Enge. Sind solche Schäden jedoch bereits aufgetreten, dann gilt es interdisziplinär zu agieren: Bei therapeutisch gut eingestellten Patienten mit geringer Entzündungsaktivität kann man in solchen Situationen auch operativ Verklebungen oder Vernarbungen lösen, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Was können Dermatologen neben der interdisziplinären Zusammenarbeit in der Praxis beachten?

Vielen ist das Schleimhautpemphigoid auf Grund seiner Seltenheit als Erkrankung gar nicht bewusst. Wir erleben immer wieder Patienten, die monatelang mit ausgeprägten Beschwerden an Schleimhäuten von Arzt zu Arzt gehen und niemand hat eine Biopsie entnommen. Daran zu denken, dass es das Schleimhautpemphigoid gibt und dass für die Diagnose eine Biopsie und die Serumdiagnostik notwendig sind, ist schon einmal der erste Schritt.
Man muss auch wissen, dass, wenn eine erste Biopsie nicht wegweisend ist, der Verdacht aber weiterhin besteht, man auch noch eine zweite oder dritte Biopsie entnehmen sollte. Eventuell war die biopsierte Stelle nicht aussagekräftig, weil man zum Beispiel eine Erosion oder Ulzeration erwischt hat und das Epithel gar nicht mehr zu beurteilen ist. Hier ist es wichtig, kritisch gegenüber dem histologischen Befund zu sein und zu reflektieren, ob man die optimale Stelle biopsiert hat. Zudem ist eine Überweisung der  Patienten an ein spezialisiertes Zentrum zu empfehlen. 

Interview: Martha-Luise Storre

Expertin:
Prof. Dr. med. Silke Hofmann
Direktorin des Zentrums für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie,
Helios Universitätsklinikum Wuppertal
Universität Witten/Herdecke
Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit der DDG