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Medizin

Kinderbeine mit Urtikaria
Kennzeichnend für die Urtikaria ist ein sehr starker Juckreiz begleitet von Quaddeln und/oder Anigoödemen, die spontan und/oder induzierbar in Folge externer Einwirkungen auf die Haut wie Wärme, Kälte, Licht oder Druck auftreten.
© Colourbox/#2017

Management der Urtikaria bei Kindern

Im Gegensatz zu erwachsenen Patienten ist die Versorgung von Kindern mit Urtikaria bislang kaum systematisch untersucht. Was ist hinsichtlich der Ursachen, Diagnostik und Therapie bei pädiatrischen Fällen bekannt? Ein Update

Prof. Dr. Petra Staubach, Dr. Caroline Mann, Mainz

Die Ursachen einer Urtikaria können vielfältig sein. Mögliche Ursachen bei Kindern werden häufig diskutiert. So können Infektionen, verschiedene Nahrungsmittelintoleranzen oder auto-immunologe Phänomene die Symptome auslösen3. Allerdings sind bei einem Teil der Patienten bislang keine spezifischen Auslöser identifizierbar4. Die akute Urtikaria ist im Kindesalter dominierend, gefolgt von der chronischen Urtikaria.  Jungen und Mädchen sind mit einer Prävalenz von ca. 0,5% etwa gleichhäufig von einer chronischen Urtikaria betroffen5.

Die Symptome sichern die Diagnose, sodass die Therapie schnell gestartet werden kann. Die Krankheitskontrolle ist von Beginn an bei allen Urtikaria-Formen das Ziel. Bedingt durch die Krankheitslast müssen auch Komorbiditäten wie Depressionen und Angststörungen bedacht werden, aber auch Erkrankungen des atopischen Formenkreises, Autoimmunerkrankungen und Adipositas5. Hier empfiehlt sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Während klinische Informationen, Studien und Behandlungsleitlinien für Erwachsene zur Verfügung stehen, sind Kinder mit Urtikaria hinsichtlich ihrer Versorgung bislang nicht systematisch untersucht worden. Auch validierte krankheitsspezifische Fragebögen zur Ermittlung der Krankheitslast (Krankheitsaktivität plus Lebensqualität) stehen für Kinder nicht zur Verfügung. In den aktuellen Leitlinien werden Kinder erwähnt und es wird auf individuelle, nicht-standardisierte und auch neue Therapiekonzepte verwiesen4.

Diagnostik und Therapie der spontanen Urtikaria

In allen Lebenstagen ist die häufigste Unterform der Urtikaria die akute spontane Urtikaria. Infekte und seltener Pseudoallergien, z. B. auf Medikamente, wie Antipyretika oder Nahrungsmittelallergien, sind als Ursache bzw. Trigger zu eruieren. Häufig werden Antibiotika im Rahmen der Infekte für die Urtikaria verantwortlich gemacht, was nur selten der Fall ist. Eine Abklärung und Diagnostik der relevanten Allergene sollte erst 3–4 Wochen nach Beginn der Symptomatik erfolgen, da erst dann nach Erstauftreten relevante Antikörper nachweisbar sind. Bei Bestand von mehr als 6 Wochen empfiehlt sich eine weitreichendere Abklärung, wobei die aktuellen Leitlinien darauf hinweisen, dass nur bei einer sehr ausgeprägt oder nicht therapeutisch beherrschbaren Symptomatik eine umfangreiche Diagnostik schon früh erforderlich ist. Ratsam ist immer die frühzeitige Abklärung relevanter Infekte (Blutbild, Entzündungswerte) wie bei der akuten Urtikaria. Je nach Ausmaß und Dauer kann dann eine weiterführende Diagnostik erfolgen4.

Bei der akuten spontanen Urtikaria sind Infektionen der häufigste Auslöser, wobei die Daten in den aktuellen Studien stark variieren. Generell können alle Arten von Infektionen eine Ursache für Urtikaria sein, abhängig vom regionalen Spektrum der Erreger und Gewohnheiten wie dem Verzehr von rohem Fisch. In einer italienischen Studie, die sich auf Kinder fokussiert, welche eine pädiatrische Notaufnahme aufsuchten, waren Atemwegsinfektionen der häufigste ätiologische Faktor, gefolgt von gastrointestinalen und Harnwegsinfektionen6. Virale Infek-tionen wie das Respiratorische Synzytial-Virus, Epstein-Barr-Virus oder Rotavirus sind ebenfalls ein Auslöser für eine akute infektassoziierte Urtikaria sowie bakterielle Infektionen mit Streptococcus sp. und anderen, wie in einer türkischen Studie untersucht wurde7.  Regionale Unterschiede bei den Erregern sollten berücksichtigt werden.

Bei Kindern mit chronischer spontaner Urtikaria scheint eine Autoreaktivität bzw. Autoimmunität sowie Unverträglichkeiten als Trigger, ähnlich wie bei Erwachsenen, eine wichtige Ursache bzw. ein Auslöser zu sein. Es werden zwei Subtypen diskutiert:

1. Typ I-Autoimmunität

Hier binden IgE-Autoantikörper an den hochaffinen Rezeptor von Hautmastzellen. Durch Kreuzvernetzung körpereigener Antigene (Autoallergene), welche von IgE erkannt und gebunden werden, kommt es zur Degranulation. Bislang wurde z. B. Thyreoperoxidase als Auto-IgE-Allergen beschrieben8. Auf weitere relevante Autoantallergene darf man gespannt sein.

2. Typ IIb-Autoimmunität

Hier führen bei der chronisch spontanen Urtikaria IgG-Autoantikörper gegen den hochaffinen IgE-Rezeptor zur Mastzelldegranulation. Der Nachweis gelingt mit einem positiven autologen Serumtest, einem positiven Basophilen-Histamin-Release-Test oder ELISA8.

Die mastzelldegranulierenden Mechanismen bei einer chronisch induzierbaren Urtikaria sind noch weitgehend unbekannt, auch hier diskutiert man autoimmune Mechanismen.

Therapieoptionen

Von Beginn der Erkrankung an ist eine symptomatische Therapie neben einer Abklärung empfehlenswert. Unabhängig von den jeweiligen Subtypen sollten Antihistaminika (AH) der 2. Generation zur Anwendung kommen, bei persistierenden Symptomen mit einem Updosing bis zum 4-Fachen der empfohlenen Tagesdosis. Bei Kindern sollte die Dosierung gewichtsadaptiert erfolgen. Die Verstoffwechslung über die Leber sollte bei Kindern unter dem 6. Lebensjahr, gerade bei der Aufdosierung der AH, über einen längeren Zeitraum bedacht werden. Untersuchungen zu Bilastin, Cetirizin, Desloratadin, Fexofenadin, Levocetirizin, Loratadin und Rupatadin4 sind vorhanden und haben sich in der pädiatrischen Population bewährt. Besondere Darreichungsformen wie Säfte stehen zur Verfügung und ihr Langzeitsicherheitsprofil ist in der pädiatrischen Bevölkerung gut etabliert.

In der Praxis zeigt sich auch, dass Patienten unterschiedlich gut auf verschiedene AH der 2. Generation ansprechen, sodass bei nicht ausreichender Symp-tomkontrolle oder bei Auftreten von Begleitsymptomatik der Wechsel auf ein anderes AH der 2. Generation sinnvoll erscheint. Kombinationen von zwei AH sind nicht ratsam. Führt das Up-dosing nicht zum Sistieren der Symp-tome, sollte bei den chronisch spontanen Formen oder den Kombinationen der spontanen mit induzierbaren Subtypen eine additive Omalizumab-Therapie zeitnah erfolgen (nach 2–4 Wochen Updosing, s. Abb.). Omalizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, und eine sehr wirksame und sichere Zweitlinien-option8. Omalizumab wurde erstmals 2014 für die Behandlung von Urtikaria bei Patienten ab 12 Jahren zugelassen, befindet sich aber bereits in klinischen Studien und ist inzwischen auch für asthmatische Kinder (ab 6 Jahren) zugelassen9. Die neue Leitlinie gibt auch hier Dosismodifikationen vor bei unzureichender Therapiekontrolle. Da das IgE eine wichtige Rolle bei der Unterdrückung von parasitären Infektionen spielt, sollten diese vor Therapie-beginn ausgeschlossen werden.

Die vollständige Symptomfreiheit unter Verbesserung der Lebensqualität ist das Ziel der individuellen Behandlung. Mögliche Ursachen bzw. Triggerfaktoren wie Medikamente, physikalische Stimuli oder Infekte sind parallel zur symptomatischen Therapie auszuschalten oder zu behandeln. Pseudoallergen- und/oder histaminarme Kost über mehrere Wochen können bei Verdacht einer Relevanz in Erwägung gezogen werden, wobei doppelblinde placebokontrollierte Studien zur Beurteilung des Erfolges fehlen. Bei den induzierbaren Formen sind Untersuchungen zu Toleranzinduktionen z. B. bei Kälteurtikaria, cholinergischer oder solarer Urtikaria erfolgreich in Fallberichten beschrieben, aber häufig aufgrund der langen Dauer nicht gut durchführbar. Auch hier fehlen placebokontrollierte Studien.

Fazit für die Praxis

Die Urtikaria ist eine häufige pädiatrische Erkrankung und geht mit einer verminderten Leistungsfähigkeit und Einschränkungen der Lebensqualität einher. Es gilt zu beachten, dass mehr als 50% der chronischen Formen in den ersten 6 Monaten spontan sistieren. Sollte die Erkrankungsdauer jedoch mehrere Monate persistieren, empfiehlt sich eine weiterführende Diagnostik. Ein Routine-Labor mit Entzündungsparametern sollte immer frühzeitig durchgeführt werden.  Die Symptomkontrolle ist von Beginn an das Therapieziel. Anthistaminika der 1. Generation sind obsolet, stattdessen sollte sich die Behandlung auf Antihistaminika der 2. Generation mit gewichtsadaptierter Höherdosierung bei Bedarf beschränken. Bei Nichtansprechen trotz Updosing steht bei der chronisch spontanen oder der Kombination aus spontaner und induzierbarer Form eine Anti-IgE-Therapie mit Omalizumab ab dem 12. bzw. 6. Lebensjahr (off-label) zur Verfügung. Eine weitere Abklärung von Triggerfaktoren wie Schmerz- oder Fiebermittel, eventueller Komorbidität und sich daraus ergebenden Triggerfaktoren ist erstrebenswert. Sollte es trotz adäquater Therapie zu einer Persistenz der Symp-tome kommen, sollte eine erneute Überprüfung der Diagnose erfolgen.

 

Literatur: 

1. Staubach-Renz P, Gilfert T. Pediatric urticaria. Current Dermatology Reports. 2015;4:83-89.

2. Maurer M, Zuberbier T, Siebenhaar F, Krause K. Chronische Urtikaria – Was bringt die neue Leitlinie? JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. 2018;16(5):585-95.

3. Cornillier H, Giraudeau B, Munck S, Hacard F, Jonville-Bera AP, d'Acremont G, et al. Chronic spontaneous urticaria in children - a systematic review on interventions and comorbidities. Pediatr Allergy Immunol. 2018 May;29(3):303-10.

4. Zuberbier T, Abdul Latiff AH, Abuzakouk M, Aquilina S, Asero R, Baker D, et al. The international EAACI/GA²LEN/EuroGuiDerm/APAAACI guideline for the definition, classification, diagnosis, and management of urticaria. Allergy. 2021 Sep 18.

5. Staubach P, Mann C, Peveling-Oberhag A, Lang BM, Augustin M, Hagenström K, et al. Epidemiology of urticaria in German children. Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft = Journal of the German Society of Dermatology : JDDG. 2021 Jul;19(7):1013-19.

6. Maurer M, Magerl M, Metz M, Siebenhaar F, Weller K, Krause K. Practical algorithm for diagnosing patients with recurrent wheals or angioedema. Allergy. 2013 Jun;68(6):816-9.

7. M, Pisarevskaja D, Scheufele R, Zuberbier T, Maurer M. Effects of a pseudoallergen-free diet on chronic spontaneous urticaria: a prospective trial. Allergy. 2010 Jan;65(1):78-83.

8. Wood RA, Khan DA, Lang DM, Fasano MB, Peden DB, Busse PJ, et al. American Academy of Allergy, Asthma and Immunology response to the EAACI/GA(2) LEN/EDF/WAO guideline for the definition, classification, diagnosis, and management of Urticaria 2017 revision. Allergy. 2019 Feb;74(2):411-13.

9. Efficacy and Safety of Omalizumab in Children (6 - < 12 Years) With Moderate-severe, Inadequately Controlled Allergic Asthma 2004. 2004.

10. Denman S, Ford K, Toolan J, Mistry A, Corps C, Wood P, et al. Home self-administration of omalizumab for chronic spontaneous urticaria. The British journal of dermatology. 2016 Dec;175(6):1405-07.