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Medizin

Hände mit Psoriasis-Plaques vor schwarzem Hintergrund
Tritt die Psoriasis an besonders sichtbaren Lokalisationen auf, kann dies zusätzlich zu einem starken Leidensdruck führen.
© AdobeStock/ PhotoPrise

„Es muss nicht immer der PASI 10 sein“

Warum sollte man die Einteilung der Psoriasis-Schweregrade neu definieren? Was gilt es hinsichtlich Komorbidität zu beachten? Und weshalb braucht es inzwischen eine gewisse Spezialisierung, um schwere Psoriasisfälle adäquat einzustellen? Ein Interview mit Professor Kristian Reich aus Hamburg.

In den vergangenen knapp 20 Jahren hat die Psoriasistherapie eine Revolution erlebt – den Dermatologen stehen zahlreiche Therapieoptionen zur Verfügung. Herr Professor Reich, sind hier noch Innovationen zu erwarten bzw. werden diese überhaupt benötigt?
Reich:
Ich sehe in der Tat keinen wirklichen „unmet need“ mehr bei der Psoriasistherapie. Wir haben klassische Medikamente in Tablettenform, wie Fumaderm, Metothrexat, selten wird auch mal Ciclosporin eingesetzt. Hinzu kommt die Lichttherapie als weiterer Baustein. Darüber hinaus haben wir inzwischen eine Fülle an Biologika, von denen zu einigen bereits Biosimilars zur Verfügung stehen. Die Liste ist lang.
Auf die Frage, ob es hier noch Innovationen zu erwarten gibt, ist meine klare Antwort: Ich wüsste gar nicht, ob es dieser derzeit überhaupt noch bedarf. Wenn ich bei der Psoriasis nur das jetzt zur Verfügung stehende Armamentarium betrachte und einsetze, dann müsste es gelingen, acht bis neun von zehn Patienten sehr gut einstellen zu können. Und damit meine ich, ihnen ein nahezu normales, uneingeschränktes Leben zu ermöglichen, entsprechend DLQI. Das ist aus Patientensicht das wichtigste Ziel.
Das Problem bei der Behandlung der Psoriasis ist also nicht, dass nicht ausreichend Therapieoptionen zur Verfügung stehen, sondern dass  viele Dermatologen die vorhandenen Therapien nicht einsetzen.
Man muss heute schon ein Spezialist sein, um das Therapiemanagement optimal auf den Weg zu bringen. Das bedeutet nicht, dass eine gute Basistherapie nicht überall erfolgen kann. Aber bei den schweren Fällen, wo es auf das Detailwissen der verschiedenen Therapien ankommt, braucht es eine gewisse Spezialisierung.

Gibt es aus medizinischer Sicht etwas Neues für das Psoriasismanagement in der Praxis?

Eine wichtige Neuerung ist aus meiner Sicht, dass es gemeinsam zu überlegen gilt, was eigentlich  eine mittelschwere bis schwere Psoriasis ist. Wir sind gerade dabei, dies neu zu definieren. Bislang gilt die alte Zehner-Regel, dass der PASI mindestens bei 10 liegen muss oder mindestens zehn Prozent der Körperoberfläche betroffen sein sollten. Zusätzlich muss eine schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität vorliegen.
Hier wissen wir inzwischen, dass diese Einteilung nicht fair ist. Es gibt Patienten, die einen PASI 8 aufweisen, gleichzeitig aber unter einer starken Ausprägung im Gesicht oder einer Nagelbeteiligung leiden. Diese Patienten können in der Realität viel stärker durch ihre Erkrankung beeinträchtigt sein als jemand, der einen PASI über 10 aufweist, aber dafür an weniger beeinträchtigenden Lokalisationen.
Der International Psoriasis Council hat kürzlich dazu ein Positionspapier veröffentlicht. Demnach liegt eine mittelschwere bis schwere Psoriasis bei allen Patienten schon dann vor, wenn sich die Erkrankung nicht mit einer Lokaltherapie in den Griff bekommen lässt.
Es muss also nicht immer der PASI 10 sein. Relevant sind sogenannte Upgrade-Kriterien, wie schwere Nagel-psoriasis, schwerer Fußsohlen- und Hand-innenflächenbefall, Plaques an sichtbaren Arealen oder im Genitalbereich, sowie sehr schwere, behandlungsresistente Plaques. Liegen diese vor, ist auch ein Patient mit einem PASI 10 ein Kandidat für eine Systemtherapie und gilt als mittelschwer bis schwer.

Häufig geht die Psoriasis mit Komorbidität einher, seien es verschlimmernde Begleiterkrankungen oder Folgeerkrankungen. Was kann man hier in der Praxis beachten?
Psoriasispatienten haben ein typisches Komorbiditätsspektrum, vor allem metabolische Erkrankungen fallen hier ins Gewicht, wie Diabetes, Übergewicht, kardiovaskuläre Probleme, Bluthochdruck. Der Dermatologe ist bei der Behandlung der Komorbidität natürlich begrenzt, denn das  zeitliche Management, ist kompliziert. Sinnvoll ist sicherlich, Patienten, die bereits eine offensichtliche Komorbidität haben, gemeinsam mit dem Hausarzt zu betreuen. Die derzeitigen Strukturen sind da aus meiner Sicht verbesserungswürdig.
Ich glaube auch nicht, dass allen Hausärzten bekannt ist, dass Psoriasis ein eigener Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse ist. Patienten mit Schuppenflechte haben häufiger Myokardinfarkte oder Schlaganfälle und verdienen darum mit der Einstellung ihrer Komorbidität besonders ernst genommen zu werden.


Praktischer Tipp

Bei Patienten, die keine offensichtliche Komorbidität aufweisen, aber eine mittelschwere bis schwere Psoriasis, kann zweimal im Jahr der Blutdruck und der Hüft-Taillen-Umfang gemessen werden. Letzterer ist sensitiver für ein metabolisches Risiko als der BMI. Zudem empfiehlt es sich, zweimal im Jahr eine Nüchtern-Blutentnahme zu machen, um den Blutzucker und die Nüchtern-Fette zu messen.


Eine Meta-Analyse, die im Oktober 2019 im JAMA Dermatology erschienen ist, stellt die These auf, dass Psoriasispatienten ein erhöhtes Risiko haben, an Krebs zu erkranken. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Die Konklusion ist aus meiner Sicht nicht, dass Psoriasispatienten ein erhöhtes Krebsrisiko haben. Vielmehr muss es heißen, dass man nicht ausschließen kann, dass es ein erhöhtes Krebsrisiko gibt. Die Odds ratio war zwar über 1, aber das Konfidenzintervall hat weit die 1 umfasst.
Andere Daten deuten daraufhin, dass Patienten mit Psoriasis ein erhöhtes Risiko haben, Lymphome zu entwickeln, also maligne Erkrankungen des Immunsystems – wie übrigens andere Patienten mit chronischen Entzündungen auch. Diese Daten stammen aus Skandinavien, noch aus der Zeit vor den Biologika. Diese Assoziation ist nicht therapiebedingt, sondern offensichtlich
intrinsisch – sie hängt also mit der chronischen entzündlichen Natur der Psoriasis zusammen.
Eine andere Frage ist, ob es Tumoren gibt, die unter Therapien häufiger auftreten. Das wäre etwas, das wir als Behandler unbedingt wissen müssten. Da kann man alle bestehenden Daten zusammenfassen und stellt fest, dass es dafür keinen wirklichen Anhalt gibt. Wenn jemand sehr viel Lichttherapie bekommen hat und dann immunsuppressive Medikamente wie Ciclosporin erhält, dann steigt das Hautkrebsrisiko an. Aber für die Lichttherapie allein lässt sich kein signifikant erhöhtes Hautkrebsrisiko in Studien feststellen.
Es gibt auch keine harten Hinweise, dass andere Therapien, die wir zur Behandlung der Psoriasis anwenden, das Krebsrisiko erhöhen. Aber wir wissen aus einigen Registern bei der rheumatoiden Arthritis, dass das Hautkrebsrisiko bei Patienten, die Biologika erhalten, erhöht ist. Das wird aber eher darauf zurückgeführt, dass diese Patienten besonders schwer betroffen sind und über lange Jahre andere immunsuppressive Therapien erhielten.
Unsere Aufgabe muss sein, Patienten mit Psoriasis gut und sicher zu behandeln, und das können wir mit den zur Verfügung stehenden Optionen erreichen. Also ist meine Haltung da ganz klar beruhigend.

Gilt das für alle Therapien?
Zum Beispiel bei Januskinase-Inhibitoren wird im Beipackzettel das Auftreten von Lymphomen und Malignomen erwähnt. Aber für die Therapien, die wir derzeit bei der Psoriasis einsetzen – vielleicht mit Ausnahme von Ciclosporin, das man ja in der Regel nur einige Monate gibt – gilt das als gesichert.

Sie erwähnten einmal, dass es das Ziel sein sollte, eine Intervention noch vor Krankheitsausbruch zu ermöglichen. Ist das noch Zukunftsmusik?
Es wäre in der Tat toll, wenn uns das jetzt schon gelingen würde. Für den Ist-Zustand im Juli 2020 gilt, dass wir bislang nur Patienten behandeln, die bereits erkrankt sind. Ein nächster Schritt, der sich schon am Horizont abzeichnet, ist, dass wir zumindest bei einer Subgruppe von Patienten, die wir derzeit noch definieren, eine „disease modification“ erzielen können. Das bedeutet, dass man den Verlauf einer Erkrankung durch eine zeitlich begrenzte Therapie langfris-tig günstig beeinflussen kann.
Ein weiterer Schritt wäre dann die „disease interception“, was man bereits aus der Onkologie kennt: In diesem Fall wird eine Therapie angewendet, bevor der Risiko-Patient eine manifeste Erkrankung entwickelt. Das ist bei der Psoriasis aber noch Zukunftsmusik.
Ich kann mir außerdem vorstellen, dass wir zu einem sogenannten „early treatment“ kommen werden: Die derzeitige Situation in der Psoriasis ist leider, dass die Patienten einen langen Leidensweg von oftmals zehn oder mehr Jahren hinter sich haben, bis sie auf eine systemische Therapie eingestellt werden, die die Erkrankung weitgehend beruhigt.
Wenn wir erst so spät intervenieren, dann ist – ganz salopp gesagt – das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Zu einem derart späten Zeitpunkt wird man den Verlauf der Erkrankung kaum mehr beeinflussen können und die Patienten benötigen eine dauerhafte Therapie, um gesund zu bleiben. Es gibt erste Daten, die darauf hindeuten, dass eine frühzeitige Therapie, mit einer frühen Induktion einer Remission, für den Verlauf der Erkrankung vermutlich sehr viel besser ist.

Also "disease modification" heute, "disease interception" vielleicht übermorgen, aber morgen schon "early treatment"?
Genau. Das wäre in meinen Augen – als gelernter Immunologe – ein großer Fortschritt. Bei diesen chronischen Entzündungserkrankungen, bei denen es eine genetische Komponente gibt und auch Umweltfaktoren ins Spiel kommen, ist es so: Wenn die Erkrankung sich das erste Mal manifestiert, fängt quasi die Uhr an zu ticken. Je länger diese Uhr läuft, umso mehr brennt sich die Erkrankung ein. Dafür kennen wir heute bereits die immunologischen Grundlagen, zum Beispiel „Gedächtniszellen“. Es gibt offensichtlich in der Haut ein Entzündungsgedächtnis. Stark vereinfacht gesagt: Je länger sich dieses Entzündungsgedächtnis ausbilden kann, umso schwieriger wird es, diesen Patienten ohne Therapie in Remission zu halten.  Ziel sollte es also sein, die Patienten frühzeitig in Remission zu bringen. In der Rheumatologie ist man schon etwas weiter. Daten zeigen dort, dass eine frühe Remissions-Induktion langfristig den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflusst.

Interview: Martha-Luise Storre