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Medizin

Dr. Claudia Hülpüsch und Dr. Matthias Reiger erforschen an der Universität Augsburg und am Helmholtz Zentrum München das kutane Mikrobiom.
© Ulrich Wirth/ UK Augsburg

Die Rolle des kutanen Mikrobioms bei der atopischen Dermatitis

Der menschliche Körper ist Wirt für unzählige Mikroorganismen. Gerät diese komplexe Gemeinschaft aus dem Gleichgewicht, kann das den Verlauf entzündlicher Erkrankungen wie zum Beispiel der atopischen Dermatitis beeinflussen. Wie weit ist hier die Mikrobiomforschung und welche Therapie­ansätze ergeben sich daraus bereits? Interview mit Dr. Claudia Hülpüsch und Dr. Matthias Reiger vom Helmholtz Zentrum München und der Universität Augsburg

Interview: Martha-Luise Storre

Inwieweit haben neue Erkenntnisse zum kutanen Mikrobiom das Verständnis der atopischen Dermatitis verändert?

Hülpüsch: Die Erforschung des Mikrobioms der Haut ist Pionierarbeit. Die Haut ist mit viel geringeren Mengen an Mikroorganismen besiedelt als der Darm und gleichzeitig zahlreichen Umwelteinflüssen ausgesetzt. In den letzten Jahren haben sich die Methoden zur Bestimmung der Mikrobiomzusammensetzung und damit einhergehend das Wissen über  das Mikrobiom verbessert. Wir haben – bezogen auf AD – Korrelationen gefunden, also einen bestimmten Zustand der erkrankten Haut, bei dem sich gleichzeitig eine bestimmte Zusammensetzung des Mikrobioms findet. Die ursächlichen Zusammenhänge sind noch nicht klar. Dennoch gibt uns die Erkenntnis, dass beispielsweise eine hohe Konzentration von Staphylococcus aureus auf der Haut mit starken Symptomen einhergeht einen Ansatzpunkt, der Hoffnung macht, dass hieraus neue, gut wirkende Medikamente für die Behandlung der Erkrankung entwickelt werden können.

Welche konkreten Veränderungen des Mikro-bioms sind bei AD-Patienten zu beobachten und gibt es Abweichungen zwischen Subtypen?

Reiger: Bei atopischer Dermatitis beobachten wir eine Veränderung des Hautmikrobioms. Während gesunde Haut eine hohe mikrobielle Diversität aufweist, ist sie bei AD-Patienten geringer. Insbesondere bei aktiven Läsionen kommt es zu einer Verschiebung des bakteriellen Mikrobioms zugunsten des Opportunisten Staphylococcus aureus und zu einem Verlust von kommensalen Bakterien aber auch Pilzen. Dies trifft nicht auf alle AD-Patienten zu, weshalb sich aktuelle Forschung unter anderem damit beschäftigt, ob und inwiefern sich das Mikro-biom in verschiedenen AD-Subtypen unterscheidet.

Welche Methoden werden für diese Untersuchung eingesetzt?

Hülpüsch: Untersucht wird das Mikrobiom in der heutigen Zeit primär über molekulare Analysen der bakteriellen 16S rRNA, also Amplikonsequenzierung, oder mit Hilfe von Metagenom-analysen. Diese Methoden ermöglichen eine Klassifizierung bis auf Speziesebene und die Metagenomanalyse kann sogar die genetische Vielfalt als eine Art „Werkzeugkasten“ der mikrobiellen Gemeinschaft beschreiben. Zunehmendes Interesse erlangt außerdem die Charakterisierung einzelner Isolate, da bestimmte Eigenschaften, die nur in Subtypen von einer bestimmten Spezies gefunden werden, Einfluss auf die Interaktion und Krankheitsentwicklung haben können.

Führt ein verändertes kutanes Mikrobiom zur AD oder ist es eher umgekehrt? Wie ist hier der Stand der Forschung?

Reiger: Ob die Veränderungen im Hautmikrobiom die Ursache oder eine Konsequenz der atopischen Dermatitis sind, ist bisher noch nicht vollständig geklärt und Gegenstand der aktuellen Forschung. Wenn wir dieses „Henne-Ei-Rätsel“ lösen könnten, würde dies möglicherweise neue Therapie- bzw. sogar Präventionsmöglichkeiten eröffnen. Wir wissen jedoch bereits, dass das Hautmikrobiom ein Teil der gesunden Haut-barriere ist und eng mit weiteren physikalischen, chemischen und immunologischen Faktoren der Barriere verknüpft ist.

Welche therapeutischen Ansätze für die AD ergeben sich aus den Erkenntnissen zum kutanen Mikrobiom?

Hülpüsch: Bei atopischer Dermatitis, insbesondere bei aktiven Läsionen, ist der pH-Wert der Haut erhöht. Als direkter Teil der Mikroumgebung begünstigt ein erhöhter pH-Wert das Wachstum von Staphylococcus aureus. Dementsprechend ist es naheliegend, dass eine aktive Verschiebung des Haut-pH-Wertes in den sauren Bereich sich positiv auf das Hautmikrobiom und somit auch auf die atopische Dermatitis auswirken kann. Bis heute ist diese aktive und langfristige Verschiebung des Haut-pH-Wertes nicht erfolgreich etabliert.

Reiger: Auch weitere Möglichkeiten sind denkbar: so könnte man beispielsweise die bakterielle Kommunikation stören und somit die Biofilm-Bildung und Toxinproduktion beeinflussen, die maßgeblich die Pathogenität beeinflussen. Dadurch wären die Bakterien, obwohl noch vorhanden, harmloser und würden die Haut-barriere nicht noch zusätzlich reizen. Ebenfalls gibt es Ansätze, Präbiotika als Nährstoffe für bestimmte Mikroorganismen oder auch probiotische Bakterien auf die Haut aufzutragen, um die mikrobielle Zusammensetzung zu beeinflussen. Mit diesem Ansatz konnten in Pilotstudien bereits Erfolge verzeichnet werden.

Was können Kollegen in der dermatologischen Praxis bei ihren AD-Patienten beachten?

Hülpüsch: Es gibt eine enge Interaktion zwischen den Hautmikroben und dem Menschen, wobei es zu einem Teufelskreis von bakteriell ausgelöstem Juckreiz, Kratzen, Entzündung, erhöhtem Haut-pH-Wert und verstärktem Staphylococcus aureus-Wachstum kommt. Dementsprechend ist die Pflege der Haut eine gute Möglichkeit, um das Hautmikrobiom zu unterstützen und eine Linderung der Symptome zu erreichen. Auch präventiv spielt die Hautpflege eine Rolle und zwar nicht nur zwischen den Schüben, sondern auch bei Kindern, die von Elternseite allergisch vorbelastet sind. Leider gibt es bislang keine Erkenntnisse dazu, ob bestimmte Mikroorganismen, oder eine bestimmte Zusammensetzung von Mikroorganismen, vor der Entwicklung einer atopischen Dermatitis schützen können.

Zieht man nun das Darm-Mikrobiom mit in Betracht: Spielt dies eine Rolle bei der AD?

Reiger: Nicht nur Änderungen im Haut- sondern auch im Darm-Mikrobiom werden bei Menschen mit atopischer Dermatitis beobachtet. Bakterielle Metabolite aus dem Darm können möglicherweise über den Blutkreislauf auch das Haut-mikrobiom beziehungsweise das Entzündungsgeschehen im Körper beeinflussen. Da wir unsere Darmbakterien direkt über unsere Ernährung „füttern“ ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch die Ernährung bei atopischer Dermatitis eine Rolle spielt und bestimmte Ernährungsweisen mit einer Verbesserung der Erkrankung einhergehen.

In den letzten Jahrzehnten ist die Prävalenz der AD signifikant gestiegen. Inwieweit spielen Umweltkomponenten hierbei eine Rolle?

Hülpüsch: Die atopische Dermatitis gehört zu den sogenannten Umwelterkrankungen. Nicht nur die Ernährung, sondern auch das individuelle Stresslevel, Umweltverschmutzung, erhöhte Pollenbelastung und der Verlust der Makrodiversität sorgen für eine steigende Zahl an AD-Patienten, insbesondere in Industrienationen. Die Urbanisierung geht einher mit einem Verlust von protektiven Faktoren, jedoch bleiben auch die ländlichen Regionen nicht von einem Verlust der Diversität verschont, die beispielsweise durch Modernisierung der Landwirtschaft, Verlust von Grünflächen etc. beeinflusst wird. Die erhöhte Belastung mit Luftschadstoffen, vor allem an viel befahrenen Straßen, korreliert mit der hohen Anzahl an AD-Erkrankungen. Somit gibt es auch einen Zusammenhang zum sozioökonomischen Status. Kinder, die an viel befahrenen Straßen groß werden, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, an atopischer Dermatitis zu erkranken.

Reiger: Diversität beschreibt eine möglichst ausgewogene, vielfältige Umgebung und beeinflusst sowohl makroskopisch als auch mikroskopisch – beispielsweise über das Mikrobiom – unsere Gesundheit. Deswegen sind der Schutz und die Pflege der Biodiversität auf allen Ebenen essenziell für uns Menschen und unsere Umwelt.