Herr Prof. Bieber, bei der systemischen Therapie stellen Biologika eine neue und effektive Behandlungsoption dar. Warum sind sie bereits firstline zugelassen?
Bieber: Bislang gab es für die Behandlung der mittelschweren und schweren Formen der Neurodermitis nur Cyclosporin. Nahezu über 20 Jahre war das die einzige Therapieoption bei schweren Verläufen. Und dann kam am 1. Dezember 2017 Dupilumab auf den Markt. Aufgrund der sehr guten Verträglichkeit war es logisch, dass dieses Präparat als Firstline-Therapie empfohlen wird. Im Vergleich zu Cyclosporin kann man den Antikörper auch langfristig geben
War das ausschlaggebend, dass der Antikörper recht zügig für Kinder zugelassen wurde?
Während die Amerikaner da etwas unkomplizierter vorgehen, stellt bei uns die Zulassung von Medikamenten ein regulatorisches Problem dar. So wird ein neu entwickeltes zunächst bis auf wenige Ausnahmen bei Erwachsenen getestet. Anschließend greift das PIP Programm (paediatric investigation plans), eine Verordnung der Europäischen Kommission von 2006, die besagt, dass es dringend notwendig ist, vielversprechende neue Therapieoptionen auch bei Kindern zu testen.
Das gilt ganz besonders, wenn es sich um eine Erkrankung handelt, die bei Kindern häufig vorkommt. Da der Löwenanteil der Neurodermitiker zu 80% eigentlich zwischen 0 und 17 Jahren diagnostiziert wird, liegt es auf der Hand, dass auch eine Kinderzulassung im Fokus steht.
Welche Patienten profitieren von einer Therapie mit Biologika, welche mit JAK-Inhibitoren? Der Wirkmechanismus ist ja sehr unterschiedlich.
Die Erkrankung Neurodermitis hat viele Facetten. Je nach Alter, Dauer und Schweregrad der Erkrankung muss der Therapeut immer sehr individuelle Entscheidungen treffen. Den Patienten sollte man dabei einbeziehen. Bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung wird die mögliche Medikamention in Bezug auf Wirkung und Nebenwirkung dann individuell mit dem Patienten besprochen
Langzeitdaten liegen noch gar nicht oder nur marginal vor. Wie gehen Sie damit um?
Die EMA beziehungsweise der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz hat ganz aktuell die Sicherheit der Januskinase-Inhibitoren untersucht. Die Ergebnisse werden vermutlich Mitte März publiziert. Hier werden Empfehlungen ausgesprochen, wann man vorsichtig bei der Verordnung der JAK-Inhibitoren sein sollte. Das betrifft beispielsweise ältere Patienten über 65 Jahre, Patienten mit hohem Risiko für kardio-vaskuläre Erkrankungen, Langzeit-Raucher oder Patienten mit erhöhtem Thrombose- bzw. Krebsrisiko. Wichtig zu wissen ist, dass diese Empfehlung nur bei chronisch entzündlichen Erkrankungen gilt, nicht bei onkologischen Indikationen der JAK-Inhibitoren.
Sind die Biologika denn geeignet für eine Langzeittherapie?
Nun, die derzeitigen Daten und Erfahrungen sprechen dafür. Das Sicherheitsprofil wird als sehr gut bewertet, so dass man auch bei einer langjährigen Therapie ein gutes Gefühl haben kann.
Und bei den JAK-Inhibitoren?
Bei den JAK-Inhibitoren kann man das auch, allerdings mit den Einschränkungen bei Risikopatienten, vor allem bei über 65-Jährigen. Ich persönlich habe dann ein besseres Gefühl, wenn ich diesen Patienten ein Biologikum verordne.
Bei gutem Ansprechen – wann kann die Therapie unterbrochen werden?
Wenn wir einen Patienten haben, der hervorragend auf die Therapie anspricht, einen so genannten Super Responder, dann kann man überlegen, ob man die Therapie bei Erscheinungsfreiheit streckt. Man kann die Zeitabstände der Applikation verlängern, beispielsweise anstatt jeder zweiten Woche jede dritte Woche. Diesen Prozess sollte man aber unbedingt mit dem Patienten besprechen. Aufhören wäre auch hier nicht angezeigt.
Kann man die Biologika mit anderen herkömmlichen Medikamenten kombinieren?
Ja, jederzeit. Hier nutzt man beispielsweise die Kombination von Biologika mit topischen Steroiden. Das wird auch im Rahmen der klinischen Entwicklung so gemacht. So müssen die Pharmaunternehmen, die ein Biologikum in Entwicklung haben, bei den Phase-III-Studien immer auch Daten zur Kombination mit einem topischen Steroid vorlegen. Das findet aus Sicherheitsgründen statt, weil die Biologika später in „Real World“ auch kombiniert verordnet werden.
Warum braucht man die Kombination, welcher Benefit ergibt sich für die Therapie?
Wir haben derzeit drei JAK-Inhibitoren auf dem europäischen Markt. Beim JAK-1- und 2-Inhibitor Barictinib braucht man topische Steroide in Kombination, um die Krankheit wirklich gut zu kontrollieren. Und dann haben wir noch zwei selektive JAK-1-Inhibitoren, zum einen das Utacitinib, zum anderen Abrocitinib. Hier ergibt zusätzliches Kortison keinen Vorteil.
Das heißt, man muss immer individuell entscheiden?
Ja, das ist ganz wichtig. Es gibt kein sogenanntes „One Size fits all“ Medikament, das allen Patienten gleichermaßen hilft. Neurodermitis ist eine sehr komplizierte Erkrankung, jeder Patient ist anders und in allen klinischen Studien erreichen selbst mit den besten Medikamenten nur 55 % der Patienten eine komplette Remission. Diese Daten zeigen sehr anschaulich die Dimension des Problems.
Was wird die Zukunft an Therapiemöglichkeiten bringen?
Bei Neurodermitis gibt es kein Allheilmittel, weshalb die personalisierte Medizin immer wichtiger wird. „Share decision making“ ist ein erster Schritt in diese Richtung. Doch die Zukunft wird darauf hinauslaufen, dass man basierend auf Biomarker und sonstigen Informationen eher in der Lage sein wird, vorab Responder zu erkennen. So kommt es zu weniger Try and Error-Situationen und die Therapie wird besser steuerbar. Präzisionsmedizin wird punkten.
Interview: Lena Fuchs