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Medizin

Frau mit Kopfschmerz
Gerade in der Altersgruppe zwischen 15 und 35 Jahren sind Kopfschmerzen ein dringendes Problem.
© Colourbox

Kopfschmerzen – in jeder Lebensphase anders

Wie äußerst sich eine Migräne in den verschiedenen Lebensphasen? Welche Rolle spielt die Bildgebung bei der Diagnostik? Und wie lässt sich Kopfschmerz infolge von Medikamenten-Übergebrauch behandeln? Ein Update

Kinder und Jugendliche

Die Internationale Kopfschmerzklassifikation unterscheidet primäre und sekundäre Kopfschmerzen  bei Kindern und Jugendlichen. Sekundäre Kopfschmerzen treten in dieser Altersgruppe am häufigsten nach Traumata auf, werden aber auch von vaskulären Erkrankungen, nichtvaskulären intrakraniellen Erkrankungen oder Infektionen verursacht. Es lohne sich auf jeden Fall, die Red-Flags für sekundären Kopfschmerz aus Anamnese und klinischer Untersuchung anzuschauen, sagt PD Dr. Gudrun Gosrau, Dresden. Dazu zählen beispielsweise plötzlich auftretender starker Kopfschmerz oder Veränderungen im bekannten Kopfschmerzmuster.
„Bei einem klassischen primären Kopfschmerz in Jugendalter wird eine Bildgebung nicht empfohlen“, so Gosrau. In ihren Augen sei diese allerdings notwendig bei Erstmanifestation einer Migräne mit Aura, da ein ischämisches Ereignis zugrunde liegen könne, und bei chronischen Kopfschmerzen, denn diese können sekundär verursacht sein.

Nichtmedikamentöse Therapieformen unverzichtbar: „Die Therapie muss immer individuell sein“, aus einer wirksamen Akut-Therapie bestehen und multimodal durchgeführt werden. Dazu gehören auch nichtmedikamentöse Therapieformen, wie Entspannungstechniken, Verhaltenstherapie, Riechtherapie, oder Nahrungsergänzungsmittel wie Magnesium. Die Evidenz für nichtpharmakologische Therapien sei zwar eher schwach, das Risiko aber wegen fehlender Nebenwirkungen niedrig. Die Wirksamkeit von Vitamin D ist unklar, da placebokontrollierte Studien fehlen.
Prophylaktische Medikamente gibt Gosrau bei nur etwa 5% der Kinder und 10% der Jugendlichen. Eine Studie von 2017, die Amitriptylin, Topiramat und Placebo verglichen hat, ergab keinen eindeutigen Vorteil für eine der Therapien bei Kindern, da der Placebo-Effekt relativ hoch war. Der Placeboeffekt könne im Behandlungsalltag allerdings ein Plus sein, das man nutzen solle. Für die amerikanischen Leitlinien wurde die Evidenz der Medikamente nach dieser Studie neu bewertet: Amitriptylin plus Verhaltenstherapie hat demnach die höchste Evidenz, gefolgt von Topiramat und Cinnarizin.

Schon bei kleinen Kindern sei das CGRP-System gut ausgebildet, daher bestehe eine Basis für eine Therapie mit CGRP-Antikörpern. Doch gibt es in der Literatur dazu bisher nur 2 Fallserien: Bei 20% und 30% der schwer betroffenen Kinder verbesserten sich die Schmerzen, die Nebenwirkungen waren ähnlich wie bei Erwachsenen.

Erwachsene

Etwa 4% der Bevölkerung sind von chronischen Kopfschmerzen betroffen, die Prävalänz steigt bis zum Alter von 50 Jahren an. Als chronisch gelten Kopfschmerzen dann, wenn sie an 15 oder mehr Tagen im Monat auftreten, so
Dr. Robert Fleischmann, Greifswald. Weniger als 4 Stunden dauern beispielsweise Cluster- oder paroxysmale Kopfschmerzen, Migräne oder chronische Spannungskopfschmerzen hingegen halten typischerweise den ganzen Tag an.

Für die Diagnostik sei es wichtig, den Patienten nach der Schmerzart in der episodischen Phase zu fragen. Denn beispielsweise bei chronischer Migräne sei es schwerer abzugrenzen, um was für eine Kopfschmerzform es sich handle. „Das Anamnesegespräch ist sicher das A und O“, so Fleischmann. Die Bildgebung ist in seinen Augen bei einem Patienten, der seit 20 Jahren an typischer episodischer Migräne leidet, fast verzichtbar. Bei einem Patienten mit kurzer Kopfschmerzgeschichte, Trigemino-autonomen Schmerzen, unklaren ICHD 3-Kriterien Red Flags dagegen sei die Bildgebung sinnvoll, um mögliche primäre Ursachen nicht zu übersehen.

Bildgebung nur selten mit Befund: In einer Studie an 190 Kopfschmerzpatienten mit Red Flag ergab die Bildgebung nur bei 5 Patienten einen pathologischen Befund, „das heißt, wenn Sie einen Patienten mit chronischem Kopfschmerz haben, leidet dieser wahrscheinlich an einem primären Kopfschmerz, selbst wenn er eine rote Flagge hat“. Oft werde lange vergeblich versucht, einem sekundären Kopfschmerz zu diagnostizieren, der aber von Beginn an weniger wahrscheinlich und auch schlechter zu behandeln sei als der primäre.

Kopfschmerz bei Medikamenten-Übergebrauch (MOH) ist laut Fleischmann sehr häufig in den Schmerzzentren zu finden. Einem MOH voran gehen in der Regel 15 Kopfschmerztage monatlich über mehr als 3 Monate, die dazu führen, dass zum Beispiel an mehr als 15 Tagen monatlich Analgetika eingenommen werden. Nicht alle Patienten entwickeln einen MOH. der Grund hierfür sind wahrscheinlich Polymorphismen der Rezeptoren und Auffälligkeiten im limbischen System. „Neurobiologisch gesehen gibt es gewisse Überschneidungen zwischen Suchterkrankung und MOH“, stellt Fleischmann fest.  Für die Therapie sei es erfolgversprechend, dem Patienten den Zusammenhang zwischen Übergebrauch und Schmerzen zu erklären. In einer Studie reduzierte sich so der Anteil von Patienten mit Übergebrauch von 100% auf 30%, bei 50% der Patienten wurde so der Kopfschmerz erfolgreich behandelt. Funktioniert das nicht, erleichtert eine prophylaktische Kopfschmerztherapie mit OnabotulinumtoxinA, Topiramat oder CGRP-Antikörpern den Entzug. Nach einer Anti-CGRP-Therapie allerdings rezidivieren etwa 30 bis 40% der Patienten. Die Leitlinien sehen bei einem einfachen und unkomplizierten Fall von MOH vor, mit der Aufklärung zu beginnen und anschließend prophylaktische Medikamente einzusetzen. Bei rezidivierendem MOH kann ein Medikamentenentzug versucht werden.

Ältere Menschen

„Die Erstmanifestation einer Migräne jenseits des 65. Lebensjahres ist eine Rarität“, so PD Dr. Stefanie Förderreuther, München. In diesem Fall sei eine Bildgebung notwendig. Im Alter lasse die Intensität der Migräneattacken nach, doch fühlen sich die Schmerzen für die Patienten noch wie eine Migräne an. Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Erbrechen gehen zurück, Nackenschmerzen dagegen werden häufiger. Weil ältere Patienten oft Analgetika gegen andere Schmerzen einnehmen, könne Übergebrauch leicht übersehen werden, wenn nur nach Medikamenten gegen Kopfschmerzen gefragt werde.

Die Migräne mit Aura weist im Alter einige Besonderheiten auf: Häufiger treten isolierte Auren auf, die von einem Schlaganfall oder einem epileptischen Anfall abgegrenzt werden müssen. Wichtig sei daher, dass die Aura mit einem Flimmerskotom beginne. Wenn visuelle Symptome fehlen, ist Vorsicht geboten.
Bei der Therapie müsse auf die Wechselwirkungen und Kontraindikationen geachtet werden, eventuell ist zusätzliche kardiovaskuläre Diagnostik notwendig. Bei NSAR müsse an die Nieren und Blutungsrisiken gedacht werden.Paracetamol hält Förderreuther für ein gutes Medikament – wenn es wirkt. Metamizol gewinnt im Alter wegen der der erhöhten Inzidenz von Nierenerkrankungen an Bedeutung. Für Patienten mit vaskulären Begleiterkrankungen sind Lasmiditan und Rimegepant eine Option.

Mit unspezifischer Migräneprophylaxe lassen sich auch andere Erkrankungen wie Hypertonie (Betablocker, Cande-sartan, Linsopril), Epilepsie (Valproat, Topiramat), Depression (Amitryptilin, Venalfaxin, Opipramol) oder Arteriosklerose (ASS) mitbehandeln. Zu den monoklonalen Antikörpern gebe es nur wenige Sicherheitsdaten für ältere und kardiovaskuläre Risikopatienten. Auf der anderen Seite gebe es keine Interaktionen und die Adhärenz sei gut. Das gleiche gelte für Botox, so die Münchner Schmerz-Expertin.

Roland Müller-Waldeck

Symposium „Update Kopfschmerz in jeder Lebensspanne“ am 20.10.2022 im Rahmen der Schmerztage 2022 in Mannheim