Dr. med. Markus Frühwein, München
Das Asylbewerberleistungsgesetz gibt auf Basis der Empfehlungen der STIKO einen mit der Allgemeinbevölkerung vergleichbaren Impfschutz vor. Die Umsetzung ist dabei teilweise komplex. Sprachbarrieren und fehlende Impfnachweise/Impfpässe erschweren die Impfstatus-Erhebung und Beratung im Rahmen der Erstuntersuchung. Online verfügbare Impfkalender und Impfaufklärungs-Materialien in verschiedenen Sprachen sind hier eine praktische Unterstützung.
Der Aufenthalt in Erstunterkünften und Einrichtungen ist meist nur kurz, und es kommt oft nur zu einem einzelnen Arztkontakt. Da hier nicht alle notwendigen Impfungen gleichzeitig durchgeführt werden können, muss eine Priorisierung nach Notwendigkeit erfolgen.
Die STIKO hat Empfehlungen gegeben, welche Impfungen bevorzugt zu verabreichen sind. Grundsätzlich sollen alle Kinder ab 5 Jahre und alle Erwachsenen prioritär gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis und Polio geimpft werden, sowie ein Schutz gegen COVID-19 und Masern/Mumps/Röteln ggf. Varizellen, zumindest bei nach 1970 geborenen, aufgebaut werden. Hierbei ist der zweiwöchige Impfabstand zwischen COVID-19-Impfung und Lebendimpfungen zu berücksichtigen. Bei Verwendung von Novavax gilt der Abstand auch zu Totimpfstoffen außer Influenza.
Erst COVID-Impfschutz, dann MMR
Die STIKO empfiehlt dabei aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens die MMR-Impfung der COVID-Immunisierung hintanzustellen, was sich teilweise im Hinblick auf das Masernschutzgesetz als schwierig erweist. Denn vier Wochen nach Aufnahme eines Flüchhtlings in eine Gemeinschaftseinrichtung ist ein vollständiger Impfschutz gegen Masern nachzuweisen, was mit den Mindestabständen zu COVID-19 knapp werden kann.
Bei den Jüngeren wird eine 6-fach(ggf. 5-fach)-Impfung und die MMR-V (ab 9 Monaten) priorisiert. Andere Impfungen wie beispielsweise Meningokokken, HPV oder Pneumokokken sollten zeitnah nachgeholt werden. Dies ist dann jedoch schon häufig im Aufgabenbereich des Hausarztes angesiedelt, der den Impfschutz vervollständigen soll.
In der Ukraine liegen die Impfquoten deutlich niedriger als in Deutschland. Sowohl für Masern, Mumps, Röteln als auch Polio lagen sie zuletzt knapp über 80%. Zehntausende Masern-Infektionen und vereinzelte Poliofälle durch vaccine derived polio virus in den letzten Jahren in der Ukraine zeigen, dass hier ein potenzielles Risiko für entsprechende Ausbrüche, insbesondere in Gemeinschaftseinrichtungen, besteht, das sich durch eine konsequente Umsetzung der empfohlenen Impfstrategie minimieren lässt. Aufgrund der teilweise auch in Deutschland deutlich zu niedrigen Durchimpfungsraten, häufig auch durch zu spät begonnene Impfschemata, gibt es auch hier gerade bei den ganz Kleinen vulnerable Gruppen für impfpräventable Erkrankungen.
COVID-19-Grundimmunisierung ohne EU-Zulassung – was tun?
Die Durchimpfungsrate gegen COVID-19 liegt in der Ukraine bei gerade mal 35%, und nicht in der EU zugelassene Impfstoffe sind dort keine Ausnahme. Inzwischen liegen Daten zur guten Wirksamkeit einer mRNA-Auffrischimpfung nach einer nicht EU-zugelassenen Grundimmunisierung vor, und auf dieser Basis gibt die STIKO klare Empfehlungen, die das Vorgehen in der Praxis wesentlich vereinfachen. Welcher COVID-impfende Arzt kennt nicht die Situation, einem bereits Geimpften die fragliche Sinnhaftigkeit einer erneuten vollständigen Grundimmunisierung zur Erlangung eines gültigen Impfzertifikates beibringen zu müssen?
Zumindest bei einigen Impfstoffen (Covaxin/BBV152 (Bharat Biotech), Covilo/BBIBP-CorV (Sinopharm), CoronaVac (Sinovac) und Sputnik V (Gamaleja)) wird jetzt nur noch eine einzelne Auffrischimpfung mit einem zugelassenen mRNA-Impfstoff im Abstand von mindestens 3 Monaten zur letzten Impfstoffdosis empfohlen. Die 3 Monate sollen auch bei einer Infektion nach einer entsprechenden Grundimmunisierung eingehalten werden.
Sollte eine Impfserie mit einem der genannten Impfstoffe unvollständig oder ein anderer Impfstoff verwendet worden sein, ist eine vollständige Immunisierung mit einem der in Deutschland zugelassenen Impfstoffe anzustreben.