Nach Angaben der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sind in Deutschland derzeit etwa sieben Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. In der Altersgruppe der über 85-Jährigen hat jeder Fünfte einen Typ-2-Diabetes. Und mehr als 100.000 Menschen mit Typ-1-Diabetes hierzulande sind mittlerweile älter als 70 Jahre.
HbA1c-Zielwerte an Alter und Fitness anpassen
Ältere, multimorbide Menschen mit Diabetes benötigen individuell angepasste Vorgehensweisen innerhalb der Therapie. So gehören der Erhalt der Selbstständigkeit und eine gute Lebensqualität bei älteren Diabetespatienten zu den wichtigsten Zielen: „Ein HbA1c-Wert von 6,5 bis 7,5% wie bei jüngeren Patienten sollte nur bei Senioren ohne Begleiterkrankungen angestrebt werden, wenn diese sich gesund fühlen und körperlich fit sind“, rät Dr. med. Rahel Eckardt-Felmberg, Chefärztin der Klinik für Geriatrie am St. Joseph Krankenhaus Berlin.
Bei älteren Senioren mit Begleiterkrankungen und einem erhöhten Hypoglykämie-Risiko ist Eckardt-Felmberg zufolge ein Langzeitblutzuckerwert von 7,0 bis 8,0% ausreichend. Die Vermeidung von Hypoglykämien sei für Geriater deshalb wichtiger als ein normal eingestellter Blutzucker.
Hochbetagte und gebrechliche Senioren sollten blutzuckersenkende Medikamente nur erhalten, wenn der HbA1c-Wert auf 8,0 bis 8,5% ansteigt oder zu Symptomen führt.
Moderne Therapieoptionen bei Komorbiditäten hilfreich
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 weisen oftmals Komorbiditäten auf, wie beispielsweise Adipositas, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen. Neuere Antidiabetika wie SGLT2-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptoragonisten und DPP4-Inhibitoren bieten hier die Möglichkeit einer effektiven Diabetes-Therapie ohne Hypoglykämie-Risiko und mit guter metabolischer Effektivität, so Prof. Jochen Seufert, diesjähriger Kongresspräsident und Leiter der Abteilung Endokrinologie und Diabetologie der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Freiburg.
Kardiovaskuläre Risiken: So sieht die Datenlage aus
Kardiovaskuläre Endpunktstudien für DPP4-Inhibitoren (Sitagliptin, Saxagliptin) haben in den letzten Jahren den neutralen Effekt auf das kardiovaskuläre Risiko von Menschen mit Diabetes mellitus gezeigt, wie Prof. Seufert in einem Statement schildert.
Aktuelle Daten für dieSGLT2-Inhibitoren Empagliflozin (EMPA-REG Outcome) und Canagliflozin (CANVAS-Studienprogramm) zeigen, dass diese Medikamente kardiovaskuläre Endpunkte (Herzinfarkt, Schlaganfall) und Mortalität reduzieren können. Solche Medikamente tragen auch dazu bei, dass die Patienten Gewicht abnehmen und den Blutdruck reduzieren. Das Hypoglykämie-Risiko der SGLT2-Inhibitoren ist sehr gering.
Seufert erläuterte, dass auch für GLP-1-Rezeptoragonisten positive Daten aus kardiovaskulären Endpunktstudien vorliegen, so für die beiden Substanzen Liraglutid (LEADER-Studie) und Semaglutid (SUSTAIN-6-Studie). Diese Medikamente können somit besonders für Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus und hohem kardiovaskulärem Risiko vorteilhaft eingesetzt werden.
Zur Senkung des kardiovaskulären Risikos gehört auch die zielwertorientierte Behandlung einer Fettstoffwechselstörung mit adäquater LDL-Senkung. Hierbei sind LDL-Werte kleiner als 70 mg/dl anzustreben, so der Experte.
Kommt die Therapie an?
Der Behandlungserfolg bei Diabetes mellitus bzw. die Prognose hängen maßgeblich vom tagtäglichen Selbstmanagement des Betroffenen ab. Daher ist es für die vergleichende Beurteilung des möglichen Nutzens oder Schadens einer neuen Behandlungsmethode in klinischen Studien sehr wichtig, „patientenrelevante Outcomes“ zu berücksichtigen: „Die Patientenperspektive muss stärker einfließen, etwa durch Berücksichtigung des Faktors Lebensqualität“, rät Prof. Baptist Gallwitz, Pressesprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und Stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik IV am Universitätsklinikum Tübingen. Hierzu zählen messbare Parameter wie beispielsweise therapiebedingte Hypoglykämien, Körpergewichtszunahme, aber auch Gesichtspunkte der täglichen Behandlung wie Komplexität der Therapie und Therapieadhärenz.
Digitale Transformation birgt enormes Potenzial
Ein intensiver Dialog zwischen nationalen und internationalen Fachgesellschaften, Nutzenbewertern von Behandlungsverfahren im Gesundheitswesen sowie Herstellern und Patientenverbänden ist auch bei der digitalen Transformation in der Diabetologie gefragt. So etwa, indem gemeinsame „medizinische Qualitätsstandards“ erarbeitet werden, insbesondere im Bereich Datenschutz.
Der allgemeine Trend zur Digitalisierung birgt ein enormes Potenzial im Bereich Diabetes. Seufert zufolge sind viele Anwendungen denkbar: Von der Nutzung von Gesundheits-Apps über telemedizinische Ansätze, die kontinuierliche Glukosemessung, Insulinpumpentherapie und Closed-Loop-Systeme bis hin zu Big Data und zur Prävention der Erkrankung.
DiaDigital – das App-Siegel der Diabetesverbände
Seit drei Jahren kommen betroffene Patienten, Diabetesberater, Assistenten und Ärzte zusammen, um die Kompetenz bei Smartphone-Apps mit dem „DiaDigital – dem App-Siegel der Diabetesverbände“ – zu steigern. Bisher wurden fünf Apps zertifiziert, zwei befinden sich zurzeit in der Pipeline, so Dr. med. Matthias Kaltheuner, Vorstandsmitglied der Deutschen Diabetes Gesellschaft und niedergelassener Diabetologe in
Leverkusen.
Wichtige Kriterien für die Beurteilung einer App sind beispielsweise der Nutzen für den Patienten und auch die Barrierefreiheit, d. h., dass die App nach den Standardvorgaben der Betriebssysteme programmiert ist und auch von Menschen mit Einschränkungen wie Blindheit oder Hörbehinderung genutzt werden kann.
Diabetes und Depression
Depressive Störungen kommen bei Menschen mit Diabetes zwei- bis dreimal so häufig vor wie bei Menschen ohne Diabetes, betonte Dr. phil. Dominic Ehrmann vom Forschungsinstitut der Diabetes-Akademie Mergentheim (FIDAM) in Bad Mergentheim und Gewinner des DDG-Förderpreises 2018. Depressionen bei Menschen mit Diabetes reduzieren Lebensqualität und Selbstbehandlungsverhalten, sie erhöhen das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Folgekomplikationen und das Diabetes-Fuß-Syndrom und sie erhöhen die Mortalität.
Ehrmann arbeitete entsprechende Implikationen für den klinischen Alltag heraus: Hier sollte man Diabetes-spezifische Belastungen regelmäßig durch Fragebögen überprüfen. Es können zum Beispiel Belastungen aufgrund von Überforderungen durch die Therapie zum Tragen kommen, ebenso Belastungen durch fehlende klare Ziele, Angst vor Unterzuckerungen bzw. vor Folgekomplikationen. Solche Belastungen
ließen sich mit regelmäßigen, strukturierten Diabetesschulungen für Patienten gut reduzieren, so das Fazit von Ehrmann.
Dr. Christine Willen
Quelle: Diabetes Kongress 2018 vom 9. bis 12. Mai 2018 in Berlin