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Diabetologie

Symbolbild Gehirn
Das Gehirn ist auf eine gute Versorgung mit Glukose angewiesen. Hypoglykämien können problematisch werden.
© iStock/muuraa

Wenn Hypoglykämien depressiv machen

Mehr als die Hälfte der Diabetiker haben Angst vor nächtlichen Hypoglykämien und nicht wenige Patienten setzen deshalb ihr Insulin nicht ein. Die Sorge ist nicht unbegründet: Treten wiederholt Unterzuckerungen auf, können sich eine Depression oder Demenz entwickeln.

Das Gehirn ist darauf angewiesen, dass es gut mit Glukose versorgt wird. Nur so kann es lebenswichtige Funktionen steuern, kognitiv leistungsfähig bleiben und Emotionen stabil halten, so Dr. Christoph Axmann, Liebenburg. Hypoglykämien aber beeinträchtigen diese Funktionen. Auf der anderen Seite sind Unterzuckerungen den Patienten oft peinlich, weil er sie trotz intensiver Schulungen nicht vermeiden konnte, oder sie erkennen eine Unterzuckerung nicht, weil sie nicht alle Symptome kennen. So bleiben viele hypoglykämische Ereignisse vom Arzt unerkannt.

Angst vor Unterzuckerung besonders nachts

Ein Diabetiker produziert ab einem Blutzucker von 80 mg/dl kein Insulin mehr. Fällt der Wert weiter, schüttet der Organismus unter anderem Adrenalin aus, das die Symptome auslöst, welche die Patienten wahrnehmen können. Dazu zählen Unruhe, Heißhunger, Nervosität. Kardiale Symptome können sein Rhythmusstörungen, Angina pectoris und Herzinfarkt. Auch die kardiale Sterblichkeit steigt, und es können Angst und Panikattacken auftreten.

Weil Diabetiker aus Angst vor einer Hypoglykämie teilweise ihr Insulin nicht einsetzen, beeinträchtigt das die Therapie: „50 bis 60% der Patienten sind sehr besorgt über das Hypoglykämierisiko, vor allem Nachts“, so Axmann, „und sie mit einer dann auftretenden Hypoglykämie nur so schwer umzugehen vermögen.“

Auch Angehörige leiden

Die DAWN2-Studie zeigte 2013, wie weit verbreitet die Angst vor Hypoglykämien nicht nur unter Diabetikern, sondern auch unter Angehörigen ist: 53% der Typ-1- und 38% der Typ-2-Diabetiker haben große Sorge wegen Unterzuckerung, 60% und 36% wegen nächtlicher Unterzuckerung und 69% der Angehörigen von Patienten, die Insulin spritzen, haben Sorge wegen nächtlicher Hypoglykämien. „Wenn Angehörige nachts eine schwere Hypoglykämie miterleben“, so Axmann,  „die mit Unwohl, mit Verwirrtheit, mit Nichtansprechbarkeit, möglicherweise mit einem epileptischen Krampfanfall verbunden ist, dann müssen sie plötzlich aus der Rolle des begleitenden Supporters in eine aktive Therapierolle überspringen, worauf sie nicht vorbereiten sind.“

Gefährlich: Blutzucker unter 60 mg/dl

Fällt der Blutzucker unter 60 mg/dl, unter 3,3 mmol/l, wird Kortisol ausgeschüttet, das die Insulinwirkung hemmt. Kommt es zu einem Glukosemangel im Gehirn, ist die Kognition gestört, Affektstörungen und neurologische Ausfälle sind möglich. Patienten brechen zum Beispiel in Tränen aus und können nicht mehr aufhören zu weinen, aggressive Durchbrüche und Depression können auftreten, so Axmann. Wiederholt auftretende schwere Hypoglykämien haben schwerwiegende Folgen: Depressionen oder Demenz können auftreten.

Kasuistik: Depression durch Insulinumstellung behandeln

Eine 2014 diagnostizierte 62jährige Typ-2-Diabetikerin mit etwas Übergewicht war verhältnismäßig schnell auf Insulin umgestellt worden. Sie berichtete über nächtliche Schweißausbrüche, Gewichtszunahme, und über eine zunehmende Depression bei familiärer Vorbelastung. Sie kam wegen schwerer depressiver Episoden zu Axmann in die Klinik und wurde in die Abteilung für psychisch kranke Diabetiker verlegt, die einzige Station dieser Art in Deutschland. Bei der Patientin wurden kontinuierliche Blutglukosemessungen durchgeführt. „Dabei haben wir mehrfach stundenlange Hypoglykämien dargestellt. Das lässt sich direkt kausal mit der schweren depressiven Episode verbinden“, so Axmann. Nachdem das Insulin glargin durch Insulin degludec ersetzt wurde, traten keine nächtlichen Unterzuckerungen mehr auf – das war gleichzeitig die Grundlage für die Behandlung der depressiven Episode.

Roland Müller-Waldeck

Quelle: Virtueller Vortrag auf der Digitalen Campuswoche von MSD am 17.11. 2022: Hypoglykämien und ihre Gefährdungen für die Mentale Gesundheit