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Allgemein Medizin

Kongressgebäude Wiesbaden
Kongress-Gebäude in Wiesbaden - Veranstaltungsort der DGIM-Jahrestagung 2023
Foto: CC BY-SA 4.0 Volker/Watschounek

Highlights vom DGIM-Kongress 2023

„Systemisch denken und individuell therapieren“ war das Tagungsmotto des 129. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Entsprechend erfolgten viele Diskussionen praxisnah und interdisziplinär. Wir stellen eine Auswahl von relevanten Aspekten für die hausärztliche Versorgung vor.

Beschluss zu DMP Adipositas erwartet

Im Augst 2021 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Detailarbeit zum Disease Management Programm (DMP) Adipositas begonnen. Eine wichtige Voraussetzung war die Erstellung einer evidenzbasierten S3-Leitlinie Adipositas, berichtete Prof. Dr. Jens Abele, Hamburg [1]. Außerdem hat die Deutsche Adipositas-Gesellschaft gemeinsam mit der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ein Curriculum für die Qualifizierung im Bereich Adiposiologie entwickelt. Der Beschluss des G-BA zum DMP Adipositas wird für Juni 2023 erwartet. Danach müssen die Krankenkassen das DMP Adipositas umsetzen. Ein Knackpunkt werden die Einschlusskriterien ins DMP sein, erläuterte Aberle: Würde dazu eine Adipositas (Body Mass Index [BMI] ≥ 30 kg/m²) ausreichen, müssten im hausärztlichen Bereich etwa 16 bis 17 Millionen Menschen eingeschlossen werden. Für wahrscheinlicher hält er es daher, dass weitere Kriterien gefordert werden, beispielsweise eine bereits bestehende Adipositas-assoziierte Erkrankung oder eine höhergradige Adipositas. Das DMP soll eine multidisziplinäre und sektorenübergreifende Versorgung, eine extrabudgetäre Vergütung und eine erstattungsfähige medikamentöse Behandlung ermöglichen.

Bei Glutenverzicht Zöliakie ausschließen

Immer mehr Menschen greifen zu glutenfreien Nahrungsmitteln, ohne dass die Diagnose einer Zöliakie besteht. Eine Klug-Entscheiden-Empfehlung der DGIM lautet, eine Zöliakie serologisch auszuschließen, wenn lediglich zur Besserung unspezifischer gastroenterologischer Symptome eine glutenfreie oder weizenfreie Diät eingehalten wird. Eine Zölikakie wird bei Vorliegen einer entsprechenden Klinik serologisch durch die Bestimmung der Gewebsglutaminase vom IgE-Typ bestimmt und die Diagnose anhand der Histopathologie von Duodenalbiopsien gesichert [2]. Nach längerer glutenfreier Ernährung ist die Diagnose anhand dieser Kriterien aber nicht sicher möglich. Zu fordern ist die Reexposition mit normaler Kost mit 10 g Gluten pro Tag über drei Monate [3]. Dazu sind viele Patientinnen und Patienten nicht bereit, weil sie subjektiv einen positiven Effekt der glutenfreien Kost erlebt haben. Laut Prof. Dr. Axel Holstege, Landshut, kann in dieser Situation die Bestimmung von HLA-Risikogenotypen helfen. 98-99% der Patientinnen und Patienten mit Zökliakie weisen die Genotypen HLA-DQ5 und -DQ8 auf. Das gilt zwar auch für viele Menschen ohne Zöliakie, aber bei Nachweis dieser Risikoallele ist es eher möglich, die Betroffenen von der Reexposition mit Gluten für die Zöliakie-Diagnostik zu überzeugen. Können diese HLA-Risikovarianten nicht nachgewiesen werden, ist eine Zöliakie praktisch ausgeschlossen

Fatigue richtig einordnen

Für eine intensivere Beschäftigung mit dem Symptom Fatigue plädierte Prof. Dr. Gabriela Riemekasten, Lübeck. Zu oft gebe es einen inadäquaten Umgang mit diesem als sehr belastend empfundene Symptom, das in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen auftreten kann, sei es nach einer Virusinfektion, im Rahmen einer schweren Erkrankung wie Rheuma oder Krebs, bei einem posturalen Tachykardiesyndrom oder als Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (MF/CFS). Die richtige diagnostische Zuordnung ist wichtig, betonte Riemekasten. Spezifische mit der Fatigue assoziierte Laborparameter gibt es allerdings nicht. Sie kritisierte, dass bei normalen Laborbefunden oft reflexhaft die Information erfolge, es sei alles in Ordnung oder die Symptome seien eben psychisch bedingt. Die therapeutischen Konsequenzen der Diagnose Fatigue sind unterschiedlich: Wird bei Fatigue im Rahmen einer Krebserkrankung körperliche Aktivität empfohlen, verschlechtern sich bei Menschen mit ME/CSF die Beschwerden schon bei leichter Alltagstätigkeit und eine positive Reaktion auf Belastung fehlt.

Niedrig dosiertes Kortison bei Rheuma?

Besteht keine Kontraindikation gegen Methotrexat (MTX), erfolgt die Therapie der rheumatoiden Arthritis (RA) mit MTX und Glukokortikoiden mit dem Ziel des Erreichens einer Remission. Anschließend sollte das Glukokortikoid gemäß Leitlinien nach drei, spätestens sechs Monaten ausgeschlichen werden [4]. „Jedes Gramm Kortison weniger ist gut“, betonte Prof. Dr. Markus Gaubitz, Münster. Allerdings erhalten 31% der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen dauerhaft Kortisonpräparate, 24% in einer Dosis von 5 mg und darunter [5]. Inzwischen gibt es Evidenz, die bei sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung für eine niedrig dosierte Fortführung der Kortisontherapie zu sprechen scheint. Die erste Studie, die doppelblind und randomisiert die Fortsetzung einer niedrig dosierten Kortison-Therapie mit einem kompletten Ausschleichen bei Patienten mit einer RA verglich, war die SAMIRA-Studie [6]. Wurden 5 mg Prednisolon beibehalten, sank der Disease Activity Score 28 (DAS 28) weiter um 0,08 Punkte, ohne Kortison wurde dagegen ein Anstieg um 0,54 Punkte beobachtet. Schubfrei geblieben waren nach 24 Monaten in beiden Gruppen 91% und 78% der Teilnehmer*innen. In der GLORIA-Studie führte eine Prednisolon-Therapie in einer Dosis von 5 mg über zwei Jahre bei Patient*innen im Alter über 65 Jahren zu einem besseren DAS-28-Langzeitansprechen und einer geringeren Progression von Gelenkschäden als in einer Placebo-Gruppe mit Absetzen der Therapie [7]. „Die niedrig dosierte Therapie wirkte auch bei gut behandelter rheumatoider Arthritis“, ergänzte Gaubitz. Unerwünschte Ereignis waren in der Kortison-Gruppe zwar häufiger (60% vs. 49%), die Studienautoren konstatierten aber ein günstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis. Möglicherweise macht es Sinn, noch niedrigere Dosierungen zu nutzen, regte Gaubitz an. Er habe gute Erfahrungen mit einer alternierenden Gabe von 2,5 mg und 5 mg Prednisolon gemacht. Da es Prednisolon auch als 1 mg-Tablette, sind auch Dosierungen von 4, 3, 2 oder gar 1 mg denkbar. Evidenz aus Studien gibt es dazu aber nicht.

COVID-19 bei Krebs weiter Thema

Nach Daten der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) hatten Patient*innen mit behandelten hämatoonkologischen Erkrankungen und mit metastasierten soliden Tumorerkrankungen mit Therapie das höchste Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf überhaupt [8]. Diese Gruppen sind auch weiterhin besonders vor SARS-CoV-2-Infektionen zu schützen, betonte Priv.-Doz. Dr. Nicola Giesen, Stuttgart, und sagte, die stärkste Waffe sei dabei weiterhin die Impfung. Wenn möglich, sollte die Immunisierung vor Therapiebeginn erfolgen und kann dabei auch mit der ebenfalls empfohlenen Influenzaimpfung kombiniert werden. Wird die Impfung bei laufender Behandlung begonnen, sollte die Krebstherapie deshalb aber nicht unterbrochen werden. Der Zeitpunkt der Impfung innerhalb eines Zyklus macht laut Giesen keinen Unterschied. Die Impfantwort ist abhängig von der Art der Krebsbehandlung. Mit einer reduzierten Antikörperantwort ist bei B-Zell-gerichteten Therapien (Anti-CD20-Antikörper, BTK-Inhibitoren, BCL2-Inhibitoren), bei Anti-CD38- und Anti-BCMA-Antikörpern, bei Januskinase-Inhibitoren und nach Stammzelltransplantation sowie CAR-T-Zell-Therapie zu rechnen [9]. Aber auch bei zytotoxischer Chemotherapie, Steroid-Therapie (dosisabhängig), PARP-Inhibitoren sowie möglicherweise CDK-4/6-Hemmern kann die Impfantwort eingeschränkt sein. Bei Immundefizienz und erwartbar eingeschränkter Impfantwort empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI aktuell drei Impfungen zur Grundimmunisierung und mindestens zwei Auffrischimpfungen [10].

Friederike Klein

129. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) vom 22. bis 25. April 2023 in Wiesbaden

 

Literaturverzeichnis

1. S3-Leitlinie Therapie und Prävention der Adipositas im Kindes- und Jugendalter. AWMF-Registernummer: 050-002

2. Felber J et al. Z Gastroenterol. 2022;60(5):790–856

3. Bruins MJ. Nutrients. 2013;5(11):4614–41

4. Fiehn C et al. Z Rheumatologie 2018; 77(Suppl 2): 35–53

5. Deutsches Rheumaforschungszentrum Berlin (2021): Kerndokumentation 2021

6. Burmester GR et al. Lancet 2020; 396(10246): 267–276

7. Boers M et al. Ann Rheum Dis 2022; 81(7): 925-936

8. Rößler M et al. Epid Bull 2021; 19: 3–12

9. Fendler A et al. (2022): COVID-19 vaccines in patients with cancer: immunogenicity, efficacy and safety. Nat Rev Clin Oncol 2022; 19(6): 385-401

10. Ständige Impfkommission/RKI. Epid Bull 2023; 8: 3–21