Die 20-jährige Patientin wurde in der Hautarztpraxis unserer Zuweiserin mit seit neun Monaten bestehenden Hautveränderungen vorstellig. Anamnestisch sind die flachen Papeln zunächst glatt, livide und retikulär angeordnet aufgetreten, entwickelten aber im Verlauf eine Schuppung. Die symptomlosen zumeist linear angeordneten Effloreszenzen orientieren sich unilateral an den Blaschko-Linien. Veränderungen im Bereich der Nägel und Schleimhäute bestehen nicht. Eine Einnahme von Medikamenten sowie der Kontakt zu Pflanzen und Metallen werden von der Patientin verneint und die Familienanamnese ist leer. Die erfolgte serologische Diagnostik ergibt keinen Hinweis auf eine Hepatitis-Infektion oder eine Leberfunktionsstörung.
Histologie
Zur Diagnosestellung wurde eine Stanzbiopsie am Arm entnommen. Feingeweblich zeigt sich eine Interface-Reaktion mit einhergehender bandförmiger lymphozytärer Entzündungsreaktion und Dyskeratosen sowie einer Pigmentinkontinenz. Ebenfalls findet sich eine Hypergranulose, bei Akanthose und aufgelagerter kompakter Orthokeratose. Diese ist wesentlich zur Abgrenzung eines klinisch differenzialdiagnostisch zu erwägenden Lichen striatus, da dieser histologisch eine Parakeratose bietet.
Diagnose
Diagnostiziert wird ein linearer Lichen planus, eine seltene, unverwechselbare Entität. Charakterisiert durch in einigen Fällen juckende, lichenoide und violette Papeln, die sich linear anordnen. Gelegentlich formieren diese sich auch entlang der Blaschko-Linien, wie in unserem Fall, und weisen histologisch das typische Bild eines Lichen ruber auf. Die Ursache für diese ungewöhnliche Manifestationsform ist noch nicht geklärt. Der Lichen ruber linearis tritt gehäuft bei Kindern und jungen Erwachsenen auf und ist eine gutartige und selbstlimitierende Erkrankung. Die Mehrzahl der Patienten zeigen die typischen lichenoiden Papeln, vereinzelt zeigen sich aber auch anuläre, vesikuläre und hyperkeratotische Herde. Bis zur kompletten Ausbreitung vergehen zwischen einer Woche und mehrere Monate - wie auch bei unserer Patientin. Zumeist kommt es zu einer kompletten Abheilung ohne Residuen.
Differenzialdiagnose
Differenzialdiagnostisch sind hier der Lichen striatus, wie bereits erwähnt, sowie die Blaschkitis und weitere entzündliche Dermatosen zu erwägen, die ebenfalls in linearer Anordnung auftreten können, wie z.B. die Psoriasis vulgaris oder auch der Lupus erythematodes, die lichenoide Arzneimittelreaktion. Auch der entzündliche lineare verruköse epidermale Nävus (ILVEN), kann klinisch im der Abgrenzung Schwierigkeiten bereiten. Das seltene Auftreten aller linear angeordneten Dermatosen erschwert die rein klinisch sichere Diagnose. Diese selten vorkommende und in der Literatur zumeist nur als Kasuistik beschriebene Variante kann üblicherweise erst durch die histopathologische Untersuchung geklärt werden.
PD Dr. med. Claudia Kauczok
www.dermatohistologie-wuerzburg.de
Dank gilt Frau Dr. Uta Alberty, Hautärztin in Aachen, für die Einsendung des Gewebsmaterials und die Erhebung der zielführenden Anamnese.
Hintergrund
Der Lichen ruber linearis zeichnet sich durch eine klinisch-morphologische Besonderheit aus: Es liegen streifenförmige Manifestationen der Morphen vor, wobei die Ausbreitung am häufigsten den Blaschko-Linien folgt. Der Berliner Dermatologe Alfred Blaschko (1858–1922) hat die Hautlinien erstmals beschrieben und schon im Jahr 1901 erkannt, dass dieses Liniensystem nicht mit den Zonen der radikulären Innervation assoziiert ist. Im Gegensatz zu den Dermatomgrenzen weisen die Blaschko-Linien folgende Besonderheiten auf: Sie steigen am Rücken zunächst steil an und fallen dann springbrunnenartig wieder ab. An den Flanken und am Bauch beschreiben sie eine S-Figur. Gelegentlich bilden sie auch Wirbel am Rumpf oder an den Oberschenkeln. Ob die Blaschko-Linien den Ausbreitungsweg von Zellen während der Embryogenese beschreiben oder die Streifenmuster das Substrat eines funktionellen X-chromosomalen Mosaiks sind wird diskutiert.